Kleine Rotlichtballade 

 hessisch



 – Du hast Papiere nicht und Ahnen,

Du hast nur einen runden Leib,

Und die Behörden kratzen Kreuze

Betreffs: Festendlicher Verbleib?

 

Du hast in meinem Bett gelegen

Vorgestern Abend im August

Und hast gesagt: «Herr Nachbaa, gelle,

Se maches korrz, isch hob ko Lust.»

 

Und saß ein Vogel vor dem Fenster

Und hatte einen Ehrenplatz -

«Herr Nachbaa, sehn Se, unner Mensche

Iss doch es Edstle so‘n Schpatz,


Der fliescht erum un hockt am Erker

Un guckt enoi un hot ko Geld,

Des issen Schpatz un iss als solscher

Beliebt, gefiddert un gemeld.»

 

Du hast Papiere nicht und Ahnen,

Und übermorgen bist du tot,

Und vor den Fenstern alle Vögel

Spalieren dir im Morgenrot,

 

Und hinter Wolken schreibt ein dicker

Prophet dich ein in die Kartei.

«Herr Nachbaa, sehn Se, unner Mensche,

Do muss mer mindstens Engel sei.»



 – Joe Fliederstein –



 


Im Krankenhaus



 – Krankenhäusern, grad von innen,

kann ich gar nichts abgewinnen,

doch bei mancher Art von Leiden

lässt es sich nicht mehr vermeiden

und ich werd im Krankenwagen

hinkutschiert und reingetragen.

 

Am Empfang sitzt eine Dame:

»Krankenkasse, Anschrift, Name.«

Als sie mitkriegt »pflichtversichert«,

hat sie lauthals losgekichert:

»Tja, in diesem Falle hätten

sie im Flur noch freie Betten.«

 

Heute kommt noch die Visite

und die ganze Arzt-Elite

wuselt aufgeregt und stumm

um den Herrn Professor rum.

»Na, dann wollen wir mal sehen…«,

sagt er im Vorübergehen.

 

»Und, wie geht es uns denn heute?«

Der hat Nerven, liebe Leute!

Mir geht's schlecht, doch ihm geht's klasse,

denn es klingelt seine Kasse

jeden Tag, den ich in Pflege

hier das Krankenbett belege.

 

Grad als mich die Wut so packte,

nimmt er meine Krankenakte,

murmelt was von »Herzbeschwerden«

und zu mir: »Das wird schon werden!

Übrigens, mein Honorar

nehm‘ ich gerne auch in bar.«

 

Während er noch weiter scherzte,

himmeln ihn die Nachwuchsärzte

an und ohne Abschiedswort

sind sie plötzlich alle fort.

Das war jetzt zu viel des Guten,

das ist mir nicht zuzumuten!

 

Hastig pack ich meine Sachen,

um mich aus dem Staub zu machen,

denn ein jedes Krankenhaus

sieht von außen schöner aus

und nur hier trägt man mit Fassung

seine eigene Entlassung!



 – Stefan Pölt –



 


entfügt


 – hören –


 – Der Wind zerschneidet meine Glieder

spielt mit ihnen zeitenverloren

klimpert, musiziert

 

Es liegt noch immer

Apfelduft auf den Wegen

gereift im Rückwärtsblick

 

Stadteinwärts fließt ein Strom

aus Leibern – unzerschnitten

 

Am Abend füge ich mich ineinander

und folge euch – nicht

nicht mehr



 – Silvia Kuhn –







Herbst


 – Er scheint besessen von der Sucht nach Leben,

die Trauer um des Jahres End gebiert

in ihm nur Widerstand. Sich hinzugeben

gedenkt er nicht im Traum,


so coloriert


er die Umgebung mit den grellsten Farben.

Ein Darben kommt in seinem Plan nicht vor.

Das Übertünchen aller Lebensnarben

in der Natur heißt nun:


Multicolor!


Dem, der so aufträgt, diesem ist nach Festen –

ein solcher gibt sich nicht dem Greinen hin.

Ein solcher macht, selbst aus des Jahres Resten,

noch ein Event, samt Motto:


Seht, ich bin


noch einer, der euch zuruft: Keine Bange

vorm Tod! Es wird am Leben sich gelabt!

Drum fällt das letzte Blatt noch nicht, so lange

ihr alle etwas in der Krone habt!



 – niemand –



 


verneint


– hören –


 – Ich habe mein Nein verschönt

aus der Ecke geborgen

ziviltauglich gestimmt

es ist nicht laut

es ist nicht leise

es übt sich noch

neben dem Ja

im Stehen

im Zumirstehen



 – Silvia Kuhn –



 


aus dem Papierkorb



 – aus dem Papierkorb
ein plötzliches
beklemmendes Geräusch
als wühlte dort
unter verrotzten Papiertaschentüchern
leeren Tabakpackungen
und zerknüllten Notizzetteln
unsichtbar
ein riesenhaftes Insekt


(oder eine Spinne
die borstig braun
nach oben drängt
um die Schreibtischplatte zu entern
und mit kleinen
unvorhersehbaren Bewegungen
den Schrecken
direkt ins Herz zu pflanzen)



 – Christian Fechtner –





haltestelle



hier wartet jeder für sich

der bus fährt
seit tagen nicht mehr
doch wir bleiben uns fremd

nur morgens
lächeln wir und
werden freunde auf zeit

wenn der jüngste die brötchen bringt



 – Jörg Schaffelhofer –