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Juli 14, 2025



Der Himmel 

ist noch unbeschrieben



Der Himmel ist noch unbeschrieben

im nächsten Morgen zukunftsleicht

und heute ist sie hiergeblieben,

der Tag verneigt sich, Ziel erreicht.


Die Menschen sind so unvollkommen

am Abend, der sich nicht erklärt

ein Tag durch Wimpern und verschwommen

die Nacht beginnend und bewährt.


Im Dunkel hat der Himmel Frieden

und draußen wird nun langsam klar:

Wie reduziert und abgeschieden

ist auf der Welt die Menschenschar.


Der Morgen wird erneut begonnen,

als Mensch der viele Farben mag -

die Wissbegier hat nun gewonnen

für den Moment und jeden Tag.



 – Heike –




Eine Interpretation des Gedichts von – sufnus –


«Warum ist das Gedicht schön? – Ich weiß es nicht.

Warum finden wir manche Erscheinungen dieser unvollkommenen Welt schön, und warum finden wir dabei ganz unterschiedliche Dinge schön oder unterscheiden uns untereinander im Schön- oder Nichtschönfinden der gleichen Dinge? (Ich finde Schnirkelschnecken schön. Das fängt schon mit dem wunderbaren Namen an. Wir brauchen unbedingt Schnirkelschneckengedichte! Doch andere mögen das ganz anders sehen.)

Ich kann aber wenigstens eine Stelle benennen, an der ich beim Lesen gedacht habe «Wie schön!» – und mit dem Aufrufen dieser Stelle kommt gleich das nächste Fragezeichen daher: Mein Schönempfinden wurde nämlich von der ersten Zeile der zweiten Strophe wachgekitzelt und das ist doch ein gar wunderlicher Befund, denn eigentlich liefert diese Zeile in gewisser Weise bloß einen ziemlichen Allgemeinplatz ab. So ganz kann ich mir meine Lesefreude an dieser Stelle auch noch nicht erklären, aber ich glaube, es hängt mit den Zeilen davor und danach zusammen.

Zunächst ist nämlich, so allgemeinplätzlich die Rekognsozierung menschlicher Unvollkommenheit sein mag, ist dieses Statement in dem konkreten Gedicht ein sehr clever gesetzter «Themenwechsel» im Vergleich zu dem zu gleichen Teilen ernsten wie vorsichtig-optimistischen Ton der ersten Strophe. Außerdem ist der Satz ja durch den Zeilenwechsel nur unterbrochen aber nicht beendet worden: Die Menschen sind ja nicht im ganz Grundsätzlichen unvollkommen, sondern sie sind es im Zusammenhang mit (nächste Zeile) einem «Abend, der sich nicht erklärt» und – kann das Zufall sein?! – ab dieser Zeile verweigert sich das Gedicht auf so sanfte wie nachdrückliche Weise einer völligen sprachlichen Durchschaubarkeit. Schon unter einem nicht «selbsterklärenden» Abend kann man sich nicht so recht etwas vorstellen, und in den Zeilen 3 und 4 der zweiten Strophe löst sich auch die Grammatik beinahe auf – mit höchster Not kann man sich hier noch durchfinden, aber die Satzbezüge sind hier, nicht zuletzt durch den Wegfall einer Zeichensetzung, geradezu «verschwommen» wie durch «Wimpern betrachtet». Das ist in seiner Gesamtheit schon sehr spannend – aber damit käme ich eigentlich eher zu dem obigen Zweitpunkt der Interessanz. Ich denke, den habe ich hiermit tatsächlich schonmal vertiefend angetippt. Bei der Schönheitsfrage erklärt sich der Kommentator für weitgehend gescheitert. 


ps: Zu dem «Interessant-Punkt» nur noch ganz kurz nachgetragen: Da springt ja eigentlich das Ausrufezeichen schon in der ersten Strophe senkrecht in die Höhe, weil listigerweise offengelassen wird, wer mit dem «sie» in der dritten Zeile gemeint ist und was das «hiergeblieben» meinen könnte. Bei letztgenanntem Stichwort weht mich sogar kurz die Frage an, ob hier ganz existentiell das «am Leben bleiben» gemeint ist, und dann bekommt der Text plötzlich ein Erschütterungspotential, das hinter den formal so kundig gefügten Zeilen leicht verborgen bleiben könnte. Es bleibt dann auch letztlich ein uneindeutiger Fall. Offen für viele Auslegungen. Kein Wunder, dass ich mich so freue.»


– sufnus –