Posts mit dem Label Herbert Fehmer werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Herbert Fehmer werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

 


Tom und ich



 – Drei Jahre nach meinem Tod
besuchte ich noch einmal Tom
in seiner Werkstatt an der Brücke.

Wir saßen auf der alten rostigen Eisenbank
und das Licht des Abends vergeudete sich
in Fächer verschiedenster Schattierungen.

Unten am Bahndamm spielten kleine Kinder,
so wie ich in den frühen Siebzigern,
suchten nach Schneckenhäusern
und huschten zwischen Kamille und Brennnessel
wie kleine flinke Rehe dahin.

«Du siehst gut aus», sagte Tom.
«Findest du?», fragte ich skeptisch.
«Doch, durchaus …»

Die Strahlen der untergehenden Sonne
hüllten den späten Augustabend
in eine Glocke aus bersteinfarbenem Gold.

Zwischen meinen skelettierten Rippen
brach sich das Licht
und floss funkelnd hinüber
zur lärmenden Kinderschar.

«Ich habe abgenommen», sagte ich.
«Aber du siehst klasse aus», antwortete Tom.

Ich blickte hinüber zu den Bergen am Horizont,
die ich als Kind «mein wildes Räuberland» nannte.

Ich hatte alles gehabt,
ich hatte alles aufgenommen,
und alles gab ich wieder zurück.

«Tom, siehst du, die Sonne fließt durch mich hindurch …»

Wir saßen noch lange dort.
Fast ein Jahrzehnt.
Tom und ich.

Oder länger.



 – Herbert Fehmer –