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Juni 22, 2025

 


Endspurt



 – Fliederstein erwartet ohrenbrausend,

Was ihm unaufhaltsam näherrückt:

Seinen letzten Gang durch ein Jahrtausend,

Das der Nachbar neulich als «geglückt,

wenn Gott will!» am Stammtisch präsentierte

– in der Runde prostete man Lob –

Fliederstein sah jäh den Tod. Und stierte

In ein Loch, vor das ihn jemand schob.


Als geglückt die Dinge zu begreifen,

Das vermag er mühelos im Traum,

Träumend kann er sich aus Häuten streifen,

Fällt im Traum als Schmetterling vom Baum,

Der die Zeiten schwerelos durchtaumelt,

Aus Vergangnem Honig zieht und an

Buntgemalten Zukunftsfäden baumelt

Und in allem sich vergessen kann.


Träumen aber, wenn das Leben endet?

Wenn die Zeit in sich zusammenfällt?

Ist ein Gott da, der dann Zeichen sendet?

Kommt Gelächter aus der Götterwelt?

Ist ein nie gedachter Himmel offen?

Fliederstein stiert in das Loch, bemüht,

Auf das Unerwartbare zu hoffen:

Dass aus seinem Tod ein Anfang blüht.



 – Peter Welk –



Juni 05, 2025

 


Leise hin zum Wasserloch 


 (Kindergedicht)


– hören >>


 Eine Ringelnatter ringelt

sich aus einem Busch,

eine Mäusefrau hockt blinzelnd

vor dem Busch und, husch,


ist die Natter weggeringelt,

und die Mausfrau guckt

dahin, dorthin, baumhoch guckt sie,

hat da was gezuckt?


Hat da nur ein Ast gewackelt?

Wars ein schneller Wind,

der ein Blatt zum Tanzen brachte?

Hallo, Natter, sind


Sie da oben, Sie, Frau Ringel?

Mausfrau guckt und quiekt –

Ringelnatter schlängelt leise,

Leise hin zum Wasserloch …


… Maus guckt immer noch.



 – Peter Welk –



Mai 29, 2025



Ins ungefähre Blaue fort



 – Fliederstein entschließt sich, aus Gedankenstücken

Eine blaugemalte Welt zu schaffen,

Blau die Häuser, blaugemalt die Brücken,

Blau, sofern entstehend, die Giraffen.


Ohne Schöpferplan will Fliederstein beginnen,

Doch ins Blaue zielt er absichtsvoll,

Um dem Graugemalten zu entrinnen,

Das in seiner Welt nicht gelten soll.


Reines Blau ergießt sich wie aus Himmelskannen

Über Fliedersteins gedachte Welt,

Bläue schäumt in allen Badewannen,

Die er sich in seine Häuser stellt,


Veilchenblaugemalt beginnt der Montagmorgen,

Pflaumenblau lässt Fliederstein ihn gehn,

Blaue Mädchen haben blaue Sorgen,

Blaue Witwen können sich im Spiegel drehn.


Fliederstein – als leite ihn ein Zauberwort –

Nickt zu allem, lächelt, und dann hebt

Er die blaugemalte Welt mit Händen hoch und schwebt

Samt der Welt ins ungefähre Blaue fort …



– Peter Welk –



Mai 18, 2025



Dino auf dem Schornstein


( Kindergedicht )


 –  Hockt ein kleiner grüner Dino
Auf dem Schornstein überm Haus,
Guckt die Oma aus dem Fenster,

Ruft die Oma hoch zum Dino:

Hallo, du auf meinem Schornstein,

Komm doch runter und erzähl mir,

Wo du hergekommen bist!

Ruft der Dino: Weißt du, Oma,

Ich bin überhaupt nicht hier,

Bin kein grünes Dinotier,

Das auf deinem Schornstein hockt,

Bin vielleicht nur ein Gedanke,

Nur ein Bild aus alten Zeiten,

Das der Rauch aus deinem Schornstein

In die Luft für dich gemalt hat,

Guck noch mal ums Schornsteineck,

Hallo, Oma, und bin weg.


 – Peter Welk –



Mai 16, 2025



Nachtgedicht



Es war einmal ein Elefant,

Der kam in einen Laden

Und sprach: «Ich möcht, ich möcht so gern

Im Porzellane baden!»


«Ein Bad», sprach die Verkäuferin,

«das nehmen Sie am besten

Dort zwischen Meißen zweite Wahl

Und Nymphenburger Resten.»


Der Elefant bedankte sich

Und ging zu den Regalen,

Er warf die ihm benannten um,

Dann trat er in die Schalen


Und Schüsseln, dass es Scherben gab,

Ganz wundervoll zerstampfte,

Darinnen nahm er dann ein Bad,

Dass es bis Meißen dampfte.


Und als er aus dem Bade stieg,

Gewaschen und erfrischet,

Da hat er die Verkäuferin

(sie war ja noch im Laden drin)

Am Blusenknopf erwischet:


«Sie!» sprach er, «Sie verstehen mei-

ne Porzellanneurose,

Doch darf die nie ans Tageslicht!

Was sag’ ich! Schon als Nachtgedicht

Verschweigen wir die Chose!»


Dann ging der Elefant hinaus

Und ward nicht mehr gesehen …

Zwei Fragezeichen blieben lang

Mit unverhohlnem Fragedrang

Am Ladenfenster stehen.



 – Peter Welk –



Mai 11, 2025




Kuhgedanke




Auf der Alm ein Mädchen lächelt,

Und ihr Mädchenlächeln fächelt

Einer jungfräulichen Kuh

Einen Kuhgedanken zu:

 

Wenn ich auch so lächeln täte,

– denkt die Kuh – und es beträte

Just ein Stier die Alm und säh es,

Lieber Kuhgott, dann geschäh es!



 – Peter Welk –

  (Grafik: Sabine Tschierschky)

Mai 06, 2025



Shakespeare

Sonett 18



 – Soll ich dich einem Sommertag vergleichen, 

Die du viel lieblicher und sanfter bist? 

Durch Maienblüten rauhe Winde streichen, 

Auch Sommers Süße hat nur kurze Frist. 

Oft spürst du heiß die Sonne niederbrennen,

Oft tobt ein Sturm, verdunkelt den Azur,

Und stets muss Schönes sich von Schönem trennen 

Durch Zufall oder Wandel der Natur.

Doch was du warst und bist, wird immer sein,

Nie fliehn die Schönheit, die dir eigen ist,

Wird sich der Vogel Tod dir nähern? Nein!

Weil du in meinem Lied unsterblich bist.


So lange Menschen hören, Menschen sehn,

Lebt mein Gesang und schützt dich vor Vergehn! 




Shall I compare thee to a summer's day?

Thou art lovelier and more temperate.

Rough winds do shake the darling buds of May

And summer's lease hath an all too short a date.

Sometimes too hot the eye of Heaven shines

And often is his gold complexion dimm'd

And every fair from fair some time declines,

By chance, or nature's changing course, untrimm'd;

But thy eternal summer shall not fade

Nor lose possession of that fair though ow'st;

Nor shall Death brag thou wand'rest in his shade,

When in eternal lines to time thou grow'st.

      

So long as men can breathe or eyes can see,

So long lives this, and gives life to thee.



– William Shakespeare –


(Übertragung Peter Welk)