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Christgeburt



 – Könige sind auf dem Wege

Mit Kamelen, zu dem Kind

Raus aus diesem Tiergehege

Wo sie sonst zu Hause sind

 

Schleppen Gold und edle Pflanzen

Denn Geschenke sind ja Pflicht

Ach, man könnt vor Freude tanzen!

Die Kamele jedoch nicht

 

Die Gesäße der drei Herren

Sind vom Reiten schmerzhaft wund

Dass sie singen und nicht plärren

Liegt wohl an der heilgen Stund‘

 

Endlich da, nach langer Reise

Und ein Stern hat sie gelenkt

Schlichter Stall in Altbauweise

Doch hier wird die Welt beschenkt!

 

Alle Gäste jubilieren

Denn die Menschenschuld erlischt

Schuhe aus und gratulieren

Josefs Frau hat durchgewischt

 

Und dann steh’n sie vor der Krippe

Von dem zarten Christuskind

Schafe, Esel, auch die Hippe

Ach, wie alle glücklich sind!

 

Ja, es wird die Welt erlösen

Sünden tilgen, als wär’s Pflicht

Auch von diesen denkbar Bösen

Ich bin ehrlich, ich würd’s nicht!

 


 – Volker Teodorczyk –





Diät



 – Kekse, Kekse, Schokoriegel

Riesengrosse Waffelbrocken

Marzipan, so groß wie Ziegel

Und es schneien Nougatflocken

 

Ach, ich träume einen Stuss!

Ich spaziere unter Bäumen

Die aus reinem Zuckerguss

Straßen aus Melasse säumen

 

Doch ich kaue Kokoskerne

Trinke Wasser aus Karaffen

Ja, vier Zentner hätt‘ ich gerne

20 Gramm muss ich noch schaffen!



 – Volker Teodorczyk –





Frühschicht



– Willi, komm!  noch eine Runde  

kleinet Pils und Appelkorn  

denn um fünf schlägt meine Stunde  

dann beginnt der Mist von vorn  


Willi, komm!  noch eine Lage  

und nich wieder soviel Schaum  

wenn ich jetzt «bezahlen!» sage  

reicht et noch für‘n kurzen Traum  


Willi komm!  noch fünf Minuten  

eine Füllung muss noch rein  

einmal noch die Kehle fluten  

und ich lass dat Drängeln sein  


Willi lass!  nun is et viere  

knapp nach fünfe muss ich raus  

und der Kumpel, der steht Schmiere  

denn ich penn im Stollen aus  



– Volker Teodorczyk – 



 


Waschtag 1962 



 – Weiße Laken, Ärmel wehen 

Hemden flattern froh im Wind 

Unterwäsche, Sonntagsblusen 

Auf den Hosen ein paar Flecken 

Und der Kinder Schmusedecken 


Bis zum Gartenzaun die Leine 

Hell und strahlend der Behang 

Selbst die alte Arbeitsjacke 

Hat nach Mutters Würgegriffen 

Fast das Weiß von Ausflugschiffen 


Auch die Sonne gibt sich Mühe 

Und mit warmem hellem Schein 

Streichelt sie die Garnituren 

Wie mit weichen zarten Pfoten 

Spielt sie lautlos ihre Noten 


Fast zum Ende der Sonate 

Ziehen dunkle Wolken auf
Und mit klebrig schwarzen Schleiern 
Grüßen täglich Kokereien 

Kann ein Mutterherz verzeihen? 



 – Volker Teodorczyk –



 


Notfall



 – Ein Mann, er friert, ist depressiv

Die Hände nass, die Augen tief

Er bittet und verschränkt die Hände

Um Zyankali für sein Ende

 

Der Apotheker scheint verwirrt

Er hat grad Windeln einsortiert

«Das gibt’s so laut Verordnung nicht!»

Da hält der Mann ein Bild ins Licht

 

Es zeigt das Antlitz seiner Frau

Der Apotheker schaut genau,

Die Schrankwand auf, sie läuft auf Schienen:

«Ja mit Rezept, da geb‘ ich‘s Ihnen!»



– Volker Teodorczyk –





Wasserfreuden 


(Moritat) 


 – An dem Weiher bei den Linden 

Richtung Ausfallstraße Norden 

Nur bei Tageslicht zu finden 

Fing es an, mein erstes Morden 


Das Gemeine brach sich Bahnen 

Der Beginn der Gräueltaten 

Niemand konnte es erahnen 

Freudenfest für Beil und Spaten 


Ja, ich hatte mich verwandelt 

Denn ihr Liebreiz war verflogen 

Sie, mit der ich angebandelt 

Hatte mich gemein betrogen 


Bin mehr Rächer als Verzeiher 

Und so wurde ich zum Täter 

Tunkte sie in diesen Weiher 

Doch zerteilt hab ich sie später 


Mit den oben schon genannten 

Garten- und Zerteilbestecken 

Tauglich auch für die Verwandten 

Mehr fürs Drohen als fürs Necken 


Nach vollbrachtem Filetieren 

Sorgsam eingepackt das Weiche 

Leber, Herz und beide Nieren 

Schwimmen nun im tiefen Teiche 


Wie mir diese Tat behagte! 

Alle Tage Schlachtfestfeier 

Junge, Hübsche, auch Betagte 

Langsam füllte sich der Weiher 


Und so zog ich bald von Dannen 

Bis die großen Meere kamen 

Riesig, diese Wasserwannen! 

Platz genug für viele Damen 



– Volker Teodorczyk –


 

 


Lebensabend



 – Sie stand im Leben ihren Mann

Mitunter trotzig und auch stur

Nun schmiegen sich sechs Enkel an

So zog das Leben manche Spur

 

Sie schleppt sich mehr, als dass sie geht

Einst sprang sie über Zaungestänge  

Nun steht die Lebensuhr auf spät

Ein Phänomen, wenn’s noch gelänge

 

Ihr müder Blick spricht tausend Bände

Und wie zerklüftet ihr Gesicht

Wie faltenreich sind ihre Hände

Doch sie verlor die Anmut nicht

 

Nicht ihren Stolz, nicht ihren Mut

Ihr graues Haar, wie es sie krönt!

Kein Farbton stand ihr je so gut

Die Zeit hat es gekonnt getönt

 

Doch nun verlässt sie Wille, Mut

Sich weiter einzubringen

Im Lebenskampf, doch tut’s auch gut

Mal nicht mehr kämpfen, ringen

 

Sie ist gefasst und steht bereit

Am dunklen Einweggleis

Dann steigt sie ein, es ist soweit

«Macht’s gut» vernimmt man leis … .



 – Volker Teodorczyk –