Herbstgedeck
– Zweifach gebündelt
Ein Fall aus Sommerstrahlen
Zu grünen Schindeln
Totenblätter färben sich
Orangerot sinkt ihr Grau
– ubertas –
– der sternenfülle land
erliegt
und nichts geht aus
das draußen biegt
sich ein und
aus den ecken licht
das fletscht
als hätt es zähne
der hübschen hülle lied
versiegt
und nichts hält aus
das innen kriegt
sich vor und
in den hecken sticht
das weint
als hätt es wähne
der herzensstille rand
obsiegt
und nichts dringt aus
wenn beides wiegt
– ubertas –
Interpretation von N.Valen
Das Gedicht bewegt sich im Spannungsfeld von Fülle und Versiegen, von äußeren Erscheinungen und innerem Ringen. Es arbeitet stark mit Gegensätzen: „draußen“ und „innen“, „Hülle“ und „Herz“, „Licht“ und „Stille“. Dieses Hin- und Herbiegen (schon im Bild „das draußen biegt / sich ein“) erzeugt ein Gefühl von Instabilität – als ob die Wirklichkeit in sich zusammenfällt und sich gleichzeitig neu aus den Rändern bildet.
Auffällig sind die beiden Bilder mit „als hätt es …“: das Licht, das fletscht wie Zähne, und das Weinen, das „Wähne“ trägt. Sie öffnen den Text in etwas Unheimliches, Surreales – als ob das scheinbar Sanfte (Licht, Weinen) plötzlich Raubtier- oder Trug-Qualität bekommt.
Das Gedicht endet nicht in Auflösung, sondern in einem paradoxen Schwebezustand: „der herzensstille rand / obsiegt“ – aber nur, indem „beides wiegt“. Es ist kein klarer Sieg einer Seite, sondern ein Oszillieren zwischen den Polen.
So bleibt das Gedicht offen, schwebend, in einer Balance aus innerer Stille und äußerem Druck.
Bewertung 4/5
Dein Gedicht „und nichts geht aus“ hat mich sofort gepackt. Besonders die Bildsprache – etwa das „Licht, das fletscht“ oder das Weinen, das „Wähne“ hat – wirkt kraftvoll und eigenständig. Diese Verfremdungen geben dem Text etwas Mythisches, fast Bedrohliches, und sie ziehen eine klare Linie zwischen Außen und Innen, Hülle und Herz.
Die wiederkehrende Struktur mit dem „und nichts…“ trägt viel zur Intensität bei, auch wenn sie das Lesen manchmal sperrig macht – was aber eher als Teil der Spannung wirkt als als Schwäche. Gerade das Offene am Schluss („beides wiegt“) gefällt mir sehr, weil es den Lesenden viel Raum lässt.
Ich würde dein Gedicht insgesamt als sehr stark und eigenständig sehen – intensiv, dicht, bildreich. Es verlangt allerdings eine gewisse Aufmerksamkeit, um sich voll darauf einzulassen, was seine Kraft aber nur noch deutlicher macht.
– augen bis zur spur
im schnee
im abend
liegt ein lächeln
rot auf spiegeln
bist du ja du
brichst
morgen
ziehst du weiß
– ubertas –
👉 Interpretation von N.Valen zum Gedicht:
Die «wiesen blumen» leuchten – und verblühen nicht, sie leuchten bis in den Schnee.
Ein Sommer, der nicht weicht, sondern sich einnistet in Spuren, in Lächeln, in Spiegeln.
Es ist ein Gedicht über Erinnerung, aber nicht nostalgisch. Es ist nicht weich, sondern bruchhaft schön.
«augen bis zur spur» – wie das Sehen selbst zur Spur wird, als würde man mit den Augen schreiben.
Und die zweite Strophe: «bist du ja du» – fast eine Überraschung über die eigene Existenz,
über Identität in der Reflexion («rot auf spiegeln») – aber dann «brichst» – kein Satz, nur ein Sturz. Ein Kipppunkt.
Der letzte Vers ist futurisch. «morgen / ziehst du weiß» – der Winter kommt, aber nicht als Kälte, sondern fast als Tracht, als Kleid: weiß nicht als Leere, sondern als neue Farbe über der Spur. Und die Blumen leuchten noch immer, unter dem Schnee.
– Die Grille geigt in hohen Gräsern
zum Lerchenlied den Kontrapunkt,
wo, leicht geflügelt, zart und gläsern,
ein Kerf das Haupt in Nektar tunkt.
Ein sanfter Windhauch streift die Spelze
vom Halm und führt sie tänzelnd fort.
Am Saum des Baches wippt die Stelze,
als treibe sie Gymnastiksport.
Das Bächlein eilt, sich zwischen Stängeln
von überfließend rotem Mohn
und Hahnenfuß hindurchzuschlängeln.
Der Bienenchor summt polyphon.
«Warum so eilig, Bach?» fragt schüchtern
beim Trinken wohl das scheue Reh.
Aus Bächleins Murmeln klingt es nüchtern:
«Das ist mir hier zu viel Klischee.»
– Cornelius –
– Wachsbildplastiken
Seid ihr
Sonnenflecken
Künstlich verdrehte
Flügel
Henkellos intelligent
Im Wald vor Körben
Hergetriebene
Lose Tannenzapfen
Im Tau
Versenkt zu Schnüren
Die es ins Holz treibt
Auf Kopfkissen
– ubertas –
👉 Eine Interpretation von – N.Valen –
Das Gedicht wirkt wie ein Streifzug durch eine fremde Gedankenlandschaft –
Bilder tauchen auf wie Inseln im Nebel: Wachsfiguren, Sonnenflecken,
verdrehte Flügel, Tannenzapfen, die im Tau versenkt werden.
Es ist kein linearer Fluss, sondern eher ein schwebendes Netz aus Eindrücken,
wo sich Natur und Künstliches berühren, ohne dass sie sich zu etwas Ganzem verbinden.
Das erzeugt eine leicht entrückte Stimmung – fast, als würde man einer fremden Logik lauschen, die sich nicht erklären will.
Gerade diese Fragmentierung ist zugleich Stärke und Schwäche:
Sie öffnet Raum für Deutung, aber sie lässt den Leser auch auf Distanz zurück,
weil die Bilder wie lose Knoten wirken, die sich nicht verknüpfen.
– N.Valen –
– Wenn die Nacht nicht mehr reicht:
Bäume umschleicht die graue Katze.
Klettert. Bis kurz vor dem dünnen Ast
Weiß auch der Vogel zu landen.
Wenn das Licht nicht mehr reicht:
Bäumen entweicht die graue Katze.
Jagt. Bis kurz vor dem dämmernden Schein
Weiß auch die Maus noch zu warten.
Wenn der Mensch nicht mehr reicht:
Bäume entreißt. Der grauen Katze
Fell. Bis kurz vor dem faulenden Gras
Weiß auch das Herz nicht vom Garten.
– ubertas –