See-Tanka (für R.)
Ein Herz Ostseestrand
Lichtvermehrt im Wolkenriff
Dünen streichen Sträucher weiß
Im Sandschein leuchtet Frieden
Gräser wiegen nichts allein
– Ubertas –
ich im mittelpunkt
einer großen traurigkeit
um mich herum und keine
konnte mich erklären nur
war ich nicht anlass
oder grund
denn
der lavendel trieb
seine sehnsucht in mich
nach hitze und süden
nach einer wahrheit
die schön ist
und
nicht ich bin
anlass oder grund
nur transparent genug
– charlotte van der mele –
– lithosphären aus zärtlichkeit,
die sich unter lichtkuppeln
der erinnerung dehnen und verweigern.
dein daumen: ein reich
aus wüstenzeichen und moosalphabeten
liebe. als hitzeflimmern
ich taste mich durch
glaziale dörfer deiner handlinien,
überquere grenzen, die
mir nachgehen wie schafe
(hier: die wärme deiner greifbewegung,
die erste form des einlassens –)
aus den fingerbeeren sickert
das salz der meere,
die einst unsere namen trugen
in ein neues azur.
im zeigefinger
eine südliche provinz,
und jeder pfad, begehbare abschiede unter schwalben.
dein mittelfinger trägt
die ruinen meiner stolzesten städte
ich wohne noch dort, als mythos,
(und doch: dein lachen, das manchmal
wie ein visum wirkt)
an deinem ringfinger
wächst eine schweigsame regierung aus licht,
deren gesetze nur im traum verlesen werden
verbrieft nicht auf papier,
sondern in der wechselwärme
zwischen hauch und haut
ein kodex aus atmung,
die nie besitz behauptet
nur duldung –
auf gläserner schwelle
und wenn dein finger zittert
kehrt ein land zurück,
im kleinen finger
ein zeltlager aus schnee,
der schneefall flüstert dort: «komm zu spät,
aber komm»
(dann: deine hand auf meiner,
der abruf aller topographien in einem tastmoment)
und so wandere ich
tagelang durch deine linien,
ohne zu wissen, wo du endest
und nenne dich welt.
– seefeldmaren –
– Wind weht
ein paar Strähnen
aus meinem Lächeln –
wie Fingerspitzen
Harfe spielen.
Die Straße atmet flach,
die Laternen noch zu müde
für Licht.
Ich denke mir Schritte
wie kleine Versprechen,
die ich niemandem schulde.
Ein Auto rollt vorbei,
trägt ein Lied auf seiner Stoßstange
und einen Streit auf dem Rücksitz.
Ich nehme nur die Melodie mit.
Sie passt zu mir
wie ein Schatten,
der mich freiwillig begleitet.
Zuhause liegt
noch das halbe Gedicht
auf dem Küchenstuhl,
und der andere Teil
läuft barfuß durch den Hof
und lässt sich
sonnig vergessen.
Ich bin
nicht angekommen.
Bin nur hier.
– Max von der Heydt –
– Die Tropfen treffen das Plexiglas,
klingeln wie Münzen auf leerem Boden,
schlagen Takte,
die niemand zählt,
außer vielleicht der Wind,
der zwischen den Häusern die Zeit verliert.
Die Straße glänzt,
nicht schön,
nicht sauber,
nur: nass und ehrlich,
mit Pfützen, die wie zu große Augen blicken,
stumm,
offen,
müde.
Ich sitze auf der Bank,
das Holz unter mir gibt nach,
aufgesogen vom Regen,
nicht mehr hart,
nur noch schwer.
Meine Jacke klebt an den Ellenbogen,
meine Beine angewinkelt,
Schuhe aufgesogen vom Wasser,
die Socken ein nasser Film an der Haut,
und ich atme durch den Kragen,
weil die Luft da wärmer ist.
Die Welt riecht nach nassem Teer,
nach Rost in den Dachrinnen,
nach zerquetschtem Laub,
nach feuchter Haut und
den fernen Essensgerüchen
einer Küche,
die ich nie betreten werde.
Lichter von Autos in der Ferne —
nicht hell, nicht schnell,
nur verschwommene Blasen aus Gelb und Rot,
zerlaufend wie alte Träume.
Keine Autos kommen hier vorbei.
Kein Mensch.
Nur das Summen der Laterne,
dieses matte, sirrende Klingen,
als hätte auch das Licht vergessen, wofür es brennt.
Der Regen kitzelt die Haut durch die Stoffschichten,
sickert zwischen die Fasern,
zieht Linien über den Rücken
und malt Muster,
die niemand sieht.
Meine Hände in Taschen,
zu klein für Kälte,
zu leer für Träume.
Und irgendwo dazwischen –
zwischen Tropfen und Dunkel,
zwischen dem feuchten Herzschlag des Bodens
und dem müden Puls in meinem Hals –
ist ein Frieden,
so still,
dass selbst die Traurigkeit
leiser atmet.
Kein Moment für Helden.
Kein Film wird ihn je drehen.
Kein Lied wird ihn je summen.
Aber ich sitze hier,
inmitten von nichts,
inmitten von allem,
im Herzschlag der Nacht.
Und glaube:
Vielleicht reicht das.
Vielleicht reicht genau das.
– Max von der Heydt –