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Haiku



 – die Fliege spurtet
den Wettlauf an der Scheibe 
gewinnt der Tropfen 



 – Dirk Tilsner –



 


canto de verano



Der Mai war schön. Doch DIESE Zeit
ist schöner noch, wenn mit aparten
Gesängen aus dem Nachbargarten
die Sommernacht mein Herz befreit.

‘Gezwitschert‘ wird dort stets zu zweit:
erst Lento, in getrennten Klängen,
die sich zum Presto hin vermengen:
ein Specht klopft wild; ein Käuzchen schreit

in eine laue Dunkelheit.
Ich sing, erlöst von aller Schwere:
«Wenn ich doch selbst ein Vöglein wäre!»
und schlurf ins Haus, zu Trott und Streit.



 – Dirk Tilsner –



 


Krugschluss 



 – Oh Mensch bedenk, es liegt ein Sinn in allen Dingen: 

Im Montag ohne Mond, im Sonntag voller Wolken, 

Im Lohn, der sich kaum lohnt, in Fallen, die dich fingen, 

In deinem Lebenssaft, bevor man ihn gemolken. 


Oh Mensch bedenk, der Sinn gehört dir nicht alleine. 

Er ist für alle da: Regierung, Untertanen,
Die Nachbarn, deinen Chef und alle fiesen Schweine; 
Für die im Jenseits gar, die ewig schlauen Ahnen. 


Oh Mensch bedenk, der Sinn zieht frei durch Zeit und Räume, 

Durch Herz und Unterleib, durch Konten, Schützengräben ... 

Doch kann der Sinn nicht viel für deine blöden Träume. 

Drum lass ihn wo er ist und geh mal einen heben! 



 – Dirk Tilsner –



 


… sieben Jahre später



 – Die Stümpfe schwarz, sie gleichen Leichensteinen 

Auf einem Grabfeld in Verlassenheit.
Die Toten selbst beklagen stumm ihr Leid,
Als Spukgestalten mit verkohlten Beinen. 

Nur zögernd macht sich wieder Farbe breit. 

Die Blüten hier und dort, so will es scheinen, 

Wird irgendwann ein grüner Teppich einen. 

Die alte Weberin, sie lässt sich Zeit. 


Der neue Wald, er wird vom Wind getragen, 

Im Schoß der Asche sachte Stöße wagen, 

Bis eines Tages erste Blätter winken. 

Dann wird er sich gebären und in Kreisen 


Die unzählbaren Wunder in ihm speisen 

Und schließlich Licht in seinen Wipfeln trinken. 



 – Dirk Tilsner –


 


Die Pantherin 


(im shopping centre) 



– Ihr Blick scheint beim Vorübergehn der Läden 

Ein dunkler Schlund, in den sich alles saugt. 

Medusafinger schlingen sich wie Fäden 

Durch alles was für seine Leere taugt. 


Die Picke hackt mit jedem ihrer Schritte; 

Die Sehnsucht, die von ihren Hüften weht, 

Ist wie ein Sog von Saft um eine Mitte, 

In der umsonst ein großer Trottel fleht. 


Da plötzlich stürmt ein Feuer durch die Brille 

Und flammt mich ein. Jetzt geht mein(!) Bild hinein ... 

Ein Flackern, dann versinkt es wie Vanille
Im Eis und hört im Magen auf zu sein. 



– Dirk Tilsner –


 


Sommer 



– Vor seinem Schauspiel lässt er gerne warten, 

Der große Regisseur. Er narrt erst hier
Und dort, hält sich zurück, scheint noch zu üben ... 
Abrupt verwandelt er, von Freude schier 

Verzehrt, das Bühnenbild in einen Garten. 


Bei seiner Pracht brauchst du nur zuzulangen. 

Schlaraffenland! Aus jeder Blüte spritzt 

Ambrosia und flutet dich in Schüben. 

Der Liebreiz, der am Tag dein Blut erhitzt, 

Hält dich im Arm der lauen Nacht gefangen. 


Im Rausch bemerkst du kaum wie das Gefilde 

Sich einfärbt und allmählich Glanz verliert. 

Noch tanzt du unbeschwert, bis aus dem trüben 

Gewölk ein Paukenschlag den Schluss taktiert. 

Der Abend, kühler jetzt, ermahnt zur Milde. 



– Dirk Tilsner –







Fado-Abend



der unscheinbare herr dort auf dem stuhl – 

sieh nur die finger (!) zupfen
staunen in den saal 
irgendjemand räuspert sich umsonst
die stille siegt
nun spannt sich alles auf
in ihrer brust
es zittern
lid und lippen im akkord
verharrt der puls
ein letztes mal
aus ihrem innern steigt bestimmend eine erste 
woge moll ... darauf die zweite ... dritte (wuchtig jetzt)
dann reißt ein strom
aus abschied und erinnerung
das publikum ins meer
der weichen trauer
... kalt und fremd jeder Ort ...
später singt sie überkommt
sie wieder sehnen nach 
dem duft von salz und kardamom
an seinem hals
am nebentisch die dame wischt sich eine träne 
die letzte woge bricht
applaus 


– Dirk Tilsner – 



 


Ruhestörung 



– Der Morgen graut. Die Wolken schweigen Bände. 

Noch dösen alle Häuser. Der Asphalt 

Schleppt sich als Fluss ins offene Gelände.
Im Hintergrund kriecht Nebel aus dem Wald. 

Kein Ton. Kein Hauch. Nur sakrosankte Stille, 

Die sich in jedem Punkt des Bildes staut, 

Als ... Wispern einer elfischen Fibrille? 

Vielleicht doch irdischer ... Das ist ein Laut! 


Nein, lauter Laute wie ein Kleckern, Klacken, 

Und zwischendurch ein zartes Tippel-Tapp. 

Es hallt heran, im Takt. Zwei Herrenhacken 

Und Pfötchen eines Hunds im Zuckeltrab. 


Schon schießt der Gassigänger um die Ecke. 

Der Wegerich am Gartenzaun vibriert, 

Und Spinnennetze zittern an der Hecke. 

Der Köter in der Pfütze ... randaliert! 


Der Mantel fliegt. Die Luft erfüllt Getose.
Es schallt und kracht und etwas bricht entzwei – 
Ein Ahornflügel? Knospe einer Rose?
Egal. Jetzt ziehen Kerl und Vieh vorbei, 

Durch diese Mitte und allmählich weiter, 

Drei Eigenheime und dann noch ein Stück. 

Der ganze Lärm verebbt, vermaledeiter.
Der Morgen graut und alles schweigt. Zum Glück! 



– Dirk Tilsner –





Treffpunkt Alexandrowka 

(für Heike) 


– Erinnerst du dich? Weißt du noch? Na klar!

Die Zeiten, die wir unbeschwert verbrachten. 

Wenn‘s manchmal nichts zu lachen gab, wir lachten! 

Weil dann die graue Werkstatt bunter war. 


Wir kamen ziemlich weit, und offenbar 

Auf Wegen, die wir nicht im Traum bedachten. 

Das Altern kann man dabei so betrachten: 

Wo sich heut‘ Wolken spiegeln, störte Haar. 


Verdammt lang her! Ein Fetzen Jugend reißt 

Sich täglich los von uns. Nichts wird sie halten. 

Quatsch! Wer zu früh flennt, den bestraft ... Das heißt: 


Trotz ein paar Kilo mehr und Lächelfalten, 

Das Foto mit uns beiden drauf beweist, 

Im Grunde sind wir ganz und gar die Alten! 



– Dirk Tilsner –



 


Frühling, noch ein Lied



– Als Gott, der laue Winde nordwärts trägt, 

Ist er am Morgen übers Land gekommen. 

Der Spross, der sich seitdem im Innern regt, 

Hat seinen Ruf, noch halb betäubt, vernommen. 


Schon wird er ungeduldig, keimt und drängt, 

Meint ICH sei’s, der ihn in den Kerker sperrte. 

Er ahnt, das Weiß, das in den Bäumen hängt, 

Ist nur der Auftakt roter Festkonzerte. 


Ich halte ihn ... umsonst, er bricht hervor 

Und bleibt sogleich an allen Düften kleben. 

Er schaut mich an und lacht, weil ich ihm schwor, 

Es könne nie mehr einen Frühling geben. 



 – Dirk Tilsner –




 

Midlife-Krise früh um drei 


– Der Dichter kann schon wieder mal nicht schlafen. 
Nicht Virus oder zu viel Bier im Bauch
sind das Problem. Er steht auf keinem Schlauch. 
Er zählte schon Zehntausende von Schafen. 

Ihm geht auch kein Finanzamt auf die Eier. 
Die Dame schläft, und Flöhe hat er nicht. 
Die Arbeit morgen fällt kaum ins Gewicht, 
und die beschränkten Nachbarn – hol' der Geier. 

Ihn quält der Wunsch: Bizarr, verrückt, vermessen, 
Schimäre, die er in den Träumen fängt;
nur ein Gedicht, für sie, an die er denkt, 
obwohl er weiß: Sie hat ihn längst vergessen. 

– Dirk Tilsner 





Über die Folgen 
moderner Unterhaltung


 – Wenn ich ins Netz ans Gatter flieh,
dann chatte ich mit Nathalie,
die schnattert wie die Chatterli,
wenn sie es schmachtend braucht.

Dann rattern meine Tasten … Sie
macht, dass die Prostatatta wie
der Hahn vor frischem Flattervieh
fast wie ein Drachen faucht.

Doch gestern kommt die Gattin, die
verdattert schaut, sie hat mich nie
zuvor ertappt! Mir tattert's Knie –
zu spät! Es kracht und raucht …

So kam es, dass die Natter spie,
und ich auf ihrer Matte schrie.
Nun lauf ich Dattel wie ein Brie
ganz sachte … auf dem Bauch.

– Dirk Tilsner –