Haiku
– Dirk Tilsner –
– Dirk Tilsner –
– Oh Mensch bedenk, es liegt ein Sinn in allen Dingen:
Im Montag ohne Mond, im Sonntag voller Wolken,
Im Lohn, der sich kaum lohnt, in Fallen, die dich fingen,
In deinem Lebenssaft, bevor man ihn gemolken.
Oh Mensch bedenk, der Sinn gehört dir nicht alleine.
Oh Mensch bedenk, der Sinn zieht frei durch Zeit und Räume,
Durch Herz und Unterleib, durch Konten, Schützengräben ...
Doch kann der Sinn nicht viel für deine blöden Träume.
Drum lass ihn wo er ist und geh mal einen heben!
– Dirk Tilsner –
– Die Stümpfe schwarz, sie gleichen Leichensteinen
Nur zögernd macht sich wieder Farbe breit.
Die Blüten hier und dort, so will es scheinen,
Wird irgendwann ein grüner Teppich einen.
Die alte Weberin, sie lässt sich Zeit.
Der neue Wald, er wird vom Wind getragen,
Im Schoß der Asche sachte Stöße wagen,
Bis eines Tages erste Blätter winken.
Dann wird er sich gebären und in Kreisen
Die unzählbaren Wunder in ihm speisen
Und schließlich Licht in seinen Wipfeln trinken.
– Dirk Tilsner –
(im shopping centre)
– Ihr Blick scheint beim Vorübergehn der Läden
Ein dunkler Schlund, in den sich alles saugt.
Medusafinger schlingen sich wie Fäden
Durch alles was für seine Leere taugt.
Die Picke hackt mit jedem ihrer Schritte;
Die Sehnsucht, die von ihren Hüften weht,
Ist wie ein Sog von Saft um eine Mitte,
In der umsonst ein großer Trottel fleht.
Da plötzlich stürmt ein Feuer durch die Brille
Und flammt mich ein. Jetzt geht mein(!) Bild hinein ...
– Dirk Tilsner –
– Vor seinem Schauspiel lässt er gerne warten,
Verzehrt, das Bühnenbild in einen Garten.
Bei seiner Pracht brauchst du nur zuzulangen.
Schlaraffenland! Aus jeder Blüte spritzt
Ambrosia und flutet dich in Schüben.
Der Liebreiz, der am Tag dein Blut erhitzt,
Hält dich im Arm der lauen Nacht gefangen.
Im Rausch bemerkst du kaum wie das Gefilde
Sich einfärbt und allmählich Glanz verliert.
Noch tanzt du unbeschwert, bis aus dem trüben
Gewölk ein Paukenschlag den Schluss taktiert.
Der Abend, kühler jetzt, ermahnt zur Milde.
– Dirk Tilsner –
der unscheinbare herr dort auf dem stuhl –
– Dirk Tilsner –
– Der Morgen graut. Die Wolken schweigen Bände.
Noch dösen alle Häuser. Der Asphalt
Die sich in jedem Punkt des Bildes staut,
Als ... Wispern einer elfischen Fibrille?
Vielleicht doch irdischer ... Das ist ein Laut!
Nein, lauter Laute wie ein Kleckern, Klacken,
Und zwischendurch ein zartes Tippel-Tapp.
Es hallt heran, im Takt. Zwei Herrenhacken
Und Pfötchen eines Hunds im Zuckeltrab.
Schon schießt der Gassigänger um die Ecke.
Der Wegerich am Gartenzaun vibriert,
Und Spinnennetze zittern an der Hecke.
Der Köter in der Pfütze ... randaliert!
Drei Eigenheime und dann noch ein Stück.
– Dirk Tilsner –
Die Zeiten, die wir unbeschwert verbrachten.
Wenn‘s manchmal nichts zu lachen gab, wir lachten!
Weil dann die graue Werkstatt bunter war.
Wir kamen ziemlich weit, und offenbar
Auf Wegen, die wir nicht im Traum bedachten.
Das Altern kann man dabei so betrachten:
Wo sich heut‘ Wolken spiegeln, störte Haar.
Verdammt lang her! Ein Fetzen Jugend reißt
Sich täglich los von uns. Nichts wird sie halten.
Quatsch! Wer zu früh flennt, den bestraft ... Das heißt:
Trotz ein paar Kilo mehr und Lächelfalten,
Das Foto mit uns beiden drauf beweist,
Im Grunde sind wir ganz und gar die Alten!
– Dirk Tilsner –
– Als Gott, der laue Winde nordwärts trägt,
Ist er am Morgen übers Land gekommen.
Der Spross, der sich seitdem im Innern regt,
Hat seinen Ruf, noch halb betäubt, vernommen.
Schon wird er ungeduldig, keimt und drängt,
Meint ICH sei’s, der ihn in den Kerker sperrte.
Er ahnt, das Weiß, das in den Bäumen hängt,
Ist nur der Auftakt roter Festkonzerte.
Ich halte ihn ... umsonst, er bricht hervor
Und bleibt sogleich an allen Düften kleben.
Er schaut mich an und lacht, weil ich ihm schwor,
Es könne nie mehr einen Frühling geben.
– Dirk Tilsner –