Impressionen eines Sommers 



– Der Saft des ausgepressten Lebens einer Apfelsine 

Tropft auf das H2O das im liquiden Aggregat
In glasumhüllter Leere wartet um sich zu verbinden 
Und einen letzten Weg in meinen Mund zu finden 


Die Füße laufen quicklebendig und recht froh 

Ins Meer und trennen fleißig Molekülstrukturen. 

Milliarden Jahre drängen sich durch alle Zehen 

Die Gischt aus Zeit mir ins geleerte Glas zu wehen. 



– Morphea – 



 


… sieben Jahre später



 – Die Stümpfe schwarz, sie gleichen Leichensteinen 

Auf einem Grabfeld in Verlassenheit.
Die Toten selbst beklagen stumm ihr Leid,
Als Spukgestalten mit verkohlten Beinen. 

Nur zögernd macht sich wieder Farbe breit. 

Die Blüten hier und dort, so will es scheinen, 

Wird irgendwann ein grüner Teppich einen. 

Die alte Weberin, sie lässt sich Zeit. 


Der neue Wald, er wird vom Wind getragen, 

Im Schoß der Asche sachte Stöße wagen, 

Bis eines Tages erste Blätter winken. 

Dann wird er sich gebären und in Kreisen 


Die unzählbaren Wunder in ihm speisen 

Und schließlich Licht in seinen Wipfeln trinken. 



 – Dirk Tilsner –


 


Versuch über die Angst



Die Alten stellten sich

die Angst feinstofflich vor

Georges Ungar quälte Ratten

in dunklen Labyrinthen

mit Strom


Ihre pürierten Gehirne

injizierte er Mäusen um diese

das Fürchten zu lehren

wie ich gestern

vor dem Einschlafen las



– sufnus –







Ach, ihr …



 – Ihr habt mich lange klettern lassen

Am Regenrohr zu euch hinauf,

Die Nachbarsleute auf den Gassen

Besprachen meinen Lebenslauf,


Der dritter Stock mit einem Griff

Ins Leere enden würde, weil

Ich Griff für Griff ein Tönchen pfiff,

Nicht wie ihr denkt per Hinterteil,


Im Gegenteil, ich pfiff das Lied

Vom süßen Lohn nach langer Pein,

So musste denn mein Appetit

Im Dachgeschoss gewaltig sein!


Und, ach, der eure war es minder nicht …!

(Darüber schreibe ich euch

nächstens ein Gedicht.)



 – Joe Fliederstein – 


 


sommernachtsgeschehen



 – von ferne klingt im nachhall bienensummen

es streckt ein weitrer heißer tag die müden glieder

und schickt im ersten kühlen hauch uns ein verstummen

er überlässt der nacht die große bühne wieder


im flug zerteilen fledermäuse abendlüfte

hinaus zieht's jene die in nächten gerne schwärmen

und hin an schwere geißblatt- und lavendeldüfte

an sinnestaumel sich das herz zu wärmen


nun heißt's die milden stunden gut zu nützen

die pflanzen sammeln tau die menschen träume

und unken sich an letzten waldrandpfützen

zikaden kleiden weiden mit geschäume


es fallen perseiden ungesehen

ein glühwürmchen allein funkt noch signale

schon bald endet das sommernachtsgeschehen

in sanftem morgenrot und erstem sonnenstrahle


es kriechen nachtschatten zurück in ihre ecken

die fledermaus hängt längst im dachgestühle

und vogelsang tönt laut aus dichten hecken

in ein paar stunden schon herrscht wieder sommerschwüle



 – Claudia Neubacher –



 

Leibrente 



 – Wir haben die Oma jetzt einschläfern lassen, 

Das ging äußerst preiswert und unkompliziert, 

Da helfen zum Teil die gesetzlichen Kassen, 

Der Rest wird auf Antrag vom Staat finanziert. 


Wir denken, es war auch im Sinne von Oma,

Sie tat sich inzwischen beim Gehen recht schwer, 

Wie schnell wird man Pflegefall, fällt mal ins Koma, 

Wird taub und gefährdet den Straßenverkehr. 


Mit knapp achtzig Jahren, so darf man wohl sagen, 

Da hat man im Grunde sein Leben gelebt,
Wie gut tut‘s zu wissen, dass Oma getragen
Von Engeln wahrscheinlich gen Himmel nun schwebt. 


Für Omilein war es ganz sicher das Beste,
Jetzt bleibt ihr zum Ende hin manches erspart, 
Denn morgen ist Opa aufgrund der Atteste 

Beim Einschläfern dann schon als Nächster am Start. 



– Rudolf Anton Fichtl –





praça das flores IV



 – du kannst nicht zweimal

den gleichen platz besuchen

es gibt keine wiederholung

eine andere bist du

und auch

die bäume sind gewachsen


doch du kannst wiederkommen


nun sitze ich am brunnen wie

vor jahren schon im schatten

der gummibäume erzähle ich


vom leben von den jahren

von der verlorenen liebe

leise plätschert der brunnen

und ich weine


der kleine schwarze kaffee

im pão de canela

wärmt erinnerungen und

im augenblick

erkenn ich mich


ja wiederholung

gibt es nicht

aber wiederfinden



– charlotte van der mele –