November 20, 2025



Ein Tag 

wie viele andere



 – Ich prüfe mich auf Herz und Nieren:

Was treibe ich (die Wahl fällt schwer),

um diesen Tag zu zelebrieren,

als graute mir kein Morgen mehr?


Den Pulli mit dem Frack vertauschen

zwecks Eintritt in den Musensaal

und weihevollen Klängen lauschen,

fünf Stunden lang im "Parsifal"?


Man könnte freilich beim Spazieren

im feierlichen Fichtendom

die Stunden mit Gewinn verlieren.

Ein Trampelpfad führt auch nach Rom.


Mir schwant: Am Ende dieses Tages

verweile ich in meinem Bau

als Stammgast des Ein-Mann-Gelages

im Flimmerschein der Tagesschau.


Und schleicht ein Schatten durch die Gassen,

so ist es wohl Gevatter Hein.

Ich will mich gerne finden lassen,

nur schaut er nicht bei mir herein.



– Cornelius –



November 19, 2025



wie jedes jahr



 – ich sitz auf meiner nebelbank

lass lang die füße baumeln

und lieb wie letzten sonnentrank

im herbst das blättertaumeln


in weiße schwaden eingehüllt

durchstreif ich berg und wälder

sind vorratskammern vollgefüllt

bedeck ich leere felder


bestäub mit reif das gras als frost

leg die natur zur ruhe

nun sucht im kerzenschein ihr trost

nach decken in der truhe


sie geben wärme die ich nahm

und es vollzieht die planung

wie jedes jahr sich - seht: ich kam

ich bin die winterahnung



– Claudia Neubacher –



November 18, 2025



(Fotografie um 1920)


Zielen Sie!



 – Erst zielen Sie betrachtend mal auf Mitte
Und blenden ganz die Außenlandschaft weg –
Was sehn Sie? – Konzetrieren Sie sich, bitte!
Sie sehen, na? Ein hingewölbtes Eck,

Wie es der Künstler gern in Marmor haut.
Wie es in Parks den Mittagsschlendrer schreckt.
Wie man es gern zu Brunnenschmuck verbaut.
Wie es im Kenner das Erschauern weckt.

Jetzt zielen Sie betrachtend mal auf mich,
Auf mich als Ganzes, wenn Sies noch vermögen:
Sie sehen, na? Sie sähen mehr, wenn sich
Die Bilder, die Sie sehn, zusammenzögen

Zu einem Wunschtraumbilderbuchgeblätter,
Das wär dann ich. Ganz Wölbung. Nicht nur Eck.
Sie sehn das nicht? Dann haben Sie halt Bretter …
Am besten blenden Sie die ganze Landschaft weg.



 – Joe Fliederstein –



November 17, 2025



Neglegere



Das Wort ist tot.

Viele hören sein Echo,

manche spüren ihm nach –

und fühlen nichts.


Das Wort ist tot.

Wer wollte es

in hallenden Gewölben,

in Schweigen bewahren.


Das Wort ist tot.

Des Wortes Wort,

vom Gerede getragen –

niemand spricht.



– Rufus –



November 16, 2025



alles bleibt kurz



ich wach auf und denk,

vielleicht ist das hier gar kein morgen.

die sonne hängt wie ein ladebalken

über den häusern,

alles wartet auf ein update,

auch die vögel,

auch ich. beim frühstück

sagt brudi: man müsse sich entscheiden,

aber wofür,

wenn jede richtung

bloß eine andere form von warten ist.

danach seh ich menschen im supermarkt

mit gesenkten köpfen,

verwelkt wie sonneblumen vor den kühlregalen,

die den fettrand ihrer sehnsucht mustern.

an der kasse lacht die kassiererin,

du lellek,

so hell,

dass für einen moment

alles ruckelt.

ich denk:

vielleicht war das glück,

oder bloß ein fehler in der wiedergabe.



– seefeldmaren –



November 15, 2025



Flüchtige Begegnung



 – Ein Hecht schwamm eilig in der Elbe.

Ein Karpfen tat genau dasselbe,

nur schwamm er jenem Hecht entgegen.

Es fiel ein sanfter Sommerregen.


Bald trafen ihre nassen Wege

bei Pirna sich am Uferstege.

Der Fluss war kühl, der Fluss war breit

und beide hatten wenig Zeit -


genügend, um mit starren Blicken

sich unverbindlich zuzunicken.

Dann trug des Flusses Wellenspiel

sie weiter, jeden an sein Ziel.


Von Weiterem berichtet nicht

dies schnell gereimte Fischgedicht.

Hier folgt auch schon in aller Eile

pointenlos die letzte Zeile.



– Cornelius –



November 14, 2025



aire



– ich ging nicht leise

wuchs aus den wänden

zwischen fuge und wort

wie gras aus stein

ließ den wind

mich tragen


am offenen fenster

auch wenn er zerrte



war längst nur spur

die sich selbst verwischte

du wolltest mich leise

ein sturm im glas


deine hand

so rau



du sprachst vom bleiben

eine tulpe im herbst

ich lauschte dem wind

als wäre das gehen

mein gebet


und du

ein echo im morgen



– Mimi –