Erinnerung an Hanna Seiffert



Es war so eine Nacht mit Sommer, Mond und Wein, 

Ein Gartentisch – und zwei Verrückte sitzen da und bauen 

Das Universum um in eine Welt aus lauter Pusteblumen, 

Hanna, du lachst, ein quietschvergnügtes Schepperlachen 

Aus Tiefen hochgeholt, schiebst mir den Rotwein hin: 

Zum Wohl auf alle, die schon in den Betten liegen, 

Ich bin erst übermorgen müde! Auf das Leben! 


Und wie du plötzlich ernst sein konntest! Wie ein Kind, 

Das sich zum Denken Zeit nimmt und noch fragt,
Weil es das einfach Ausgedachte sucht und sagt
Es irgendwann und hat sich heimlich damit weggeträumt. 
Der Georg Kreisler hockte unterm Tisch, hat mitgeschwiemelt 

In jener auf den Kopf gestellten Nacht. Jetzt steht er oben 

Und hakt sich bei dir unter, wenn du kommst: 


Madame, Sie werden hier erwartet, kleine Runde, 

Der Shakespeare hat sich angesagt, der Morgenstern, 

Der Ringelnatz bringt Pellkartoffeln mit und Quark, 

Uns beide hat man als Gesangsduett verpflichtet, 

Wir singen von den längst vergangnen Fernen, 

Vom Zeitverschwenden hinter allen Sternen, 

Und dass es schön war unten auf der Erde. 



 – Peter Welk –



 


Waschtag 1962 



 – Weiße Laken, Ärmel wehen 

Hemden flattern froh im Wind 

Unterwäsche, Sonntagsblusen 

Auf den Hosen ein paar Flecken 

Und der Kinder Schmusedecken 


Bis zum Gartenzaun die Leine 

Hell und strahlend der Behang 

Selbst die alte Arbeitsjacke 

Hat nach Mutters Würgegriffen 

Fast das Weiß von Ausflugschiffen 


Auch die Sonne gibt sich Mühe 

Und mit warmem hellem Schein 

Streichelt sie die Garnituren 

Wie mit weichen zarten Pfoten 

Spielt sie lautlos ihre Noten 


Fast zum Ende der Sonate 

Ziehen dunkle Wolken auf
Und mit klebrig schwarzen Schleiern 
Grüßen täglich Kokereien 

Kann ein Mutterherz verzeihen? 



 – Volker Teodorczyk –



 


Hymne von Angola 



 – Dass am frühen Abend eines lauen 

Spätseptembertages in Athen 

deutlich mehr als hunderttausend Frauen 

aus Kambodscha nackt zum Shoppen gehn 


und dabei die Hymne von Angola 

jeweils mit Kartoffeln in der Hand 

hinter einem Truck von Coca Cola 

lauthals schmettern, bis ein Doktorrand, 


auf dem Kopf zwei weiße Turteltauben, 

«Schluss jetzt!» ruft und Tee mit Rum verspricht, 

ist im Grunde letztlich kaum zu glauben, 

völlig ausgeschlossen aber nicht. 



 – Rudolf Anton Fichtl –





 Sommer 



 – Wo bleibt
mein Kindersommer bloß 
mit dem verträumten 

Tageslauf
heut bäumt sich etwas 
riesengroß
fast ungeheuer
vor mir auf 


und brennt
und streut in Ecken Licht – 
kaum ein Geheimnis 

bleibt in Sicht 



– niemand –



 


Bing!



– Entschuldigung mein liebster Herz-

gedanke kann es sein

dass Ihnen eben dieser Kuss

entfallen ist?


Er ist von Ah bis Oh

so seifenblasenschön

ein Leichtsinnsschaum er schwimmt

sogar in Milch ich schwörs


Auf seiner feuchten Wiese können

auch Schnurrbartträger barfuß laufen

sein Spiegelbild um Mitternacht

ist vogelgrün er stellt die Uhren auf

noch mal noch mal und


Machen wir die Augen zu

dann schließen sich die Aufzugstüren

mit einem leisen: Bing!

(das Erdgeschoss kann warten Babe

wir fahren nochmal in den zwölften Stock)



– sufnus –



 


SonnTag 



 – Der Tag ist still, ein offnes Buch 

für Schmetterling und Biene, 

die Sonne webt ihr heißes Tuch 

mit wolkenloser Miene. 


Ein Rabe krächzt, er wär bereit 

den Wetterhahn zu drehen, 

und Glocken läuten, nur die Zeit, 

sie weigert sich zu gehen. 



 – Andrea M. Fruehauf –






Gesang der Schafe



 – Denn wir Schafe sehen euch entgegen,

Sehn euch langsam auf uns zu bewegen,

Denken euch verjagt aus euern Herden,

Sehn euch, näher kommend, Schafe werden.


Unser Darwin sieht in seiner Denkerstube

Eure Art sogar im Umkehrschube,

Sieht euch Schafe werden und dann Hasen,

Sieht als Frösche euch beim Backenblasen,

Schließlich Würmer werden oder Quallen

Und am Ende euch zu Staub zerfallen.


Wir hingegen, wachend und im Schlafe,

Sehn euch, näher kommend, noch als Schafe,

Und als solche seid ihr uns willkommen

Und ins neue Dasein aufgenommen.


Hieß das alte Dasein Dauerkrise,

Liegt das Glück im neuen auf der Wiese,

Also lasst es uns beblöken und beträumen,

Und das alte lasst uns aus den Hirnen räumen. 



 – Peter Welk –


(Fotografie Marion Reckow-Memmert)



 


Gegenüber 



 – Die Frau im Penthouse vis-à-vis 

mit Fenstern ohne Jalousie, 

die immer so verpennt aussieht, 

wenn sie die Betten neu bezieht, 


schlief heute wieder mal bis zehn. 

Die sollte früher schlafen gehn, 

dann käm sie morgens eher raus 

und auch mal öfter aus dem Haus. 


Jetzt liest sie auf der Couch ein Buch, 

am Abend kriegt sie meist Besuch 

und immer von nem andren Mann – 

ich seh mir das schon länger an. 


Nach außen dringt dann rotes Licht, 

woher das kommt, erkenn ich nicht, 

die Innenwände sind zu dick 

und hindern mich am freien Blick. 


Ich nehme später noch gewahr, 

wie sie geduscht mit nassem Haar, 

nur in ein Handtuch eingehüllt, 

sich noch ein Gläschen Wein einfüllt. 


Dann nimmt sie, wie fast jeden Tag, 

das Liegesofa in Beschlag.
Wie kann man nur so häufig ruhn – 
hat die nichts Besseres zu tun!? 



– Stefan Pölt – 



 


Notfall



 – Ein Mann, er friert, ist depressiv

Die Hände nass, die Augen tief

Er bittet und verschränkt die Hände

Um Zyankali für sein Ende

 

Der Apotheker scheint verwirrt

Er hat grad Windeln einsortiert

«Das gibt’s so laut Verordnung nicht!»

Da hält der Mann ein Bild ins Licht

 

Es zeigt das Antlitz seiner Frau

Der Apotheker schaut genau,

Die Schrankwand auf, sie läuft auf Schienen:

«Ja mit Rezept, da geb‘ ich‘s Ihnen!»



– Volker Teodorczyk –