Mai 10, 2025

 


die länder 

auf deinen fingerkuppen



 – lithosphären aus zärtlichkeit,

die sich unter lichtkuppeln

der erinnerung dehnen und verweigern.


dein daumen: ein reich

aus wüstenzeichen und moosalphabeten

liebe. als hitzeflimmern


ich taste mich durch

glaziale dörfer deiner handlinien,

überquere grenzen, die

mir nachgehen wie schafe


(hier: die wärme deiner greifbewegung,

die erste form des einlassens –)


aus den fingerbeeren sickert

das salz der meere,

die einst unsere namen trugen

in ein neues azur.


im zeigefinger

eine südliche provinz,

und jeder pfad, begehbare abschiede unter schwalben.


dein mittelfinger trägt

die ruinen meiner stolzesten städte

ich wohne noch dort, als mythos,


(und doch: dein lachen, das manchmal

wie ein visum wirkt)


an deinem ringfinger

wächst eine schweigsame regierung aus licht,

deren gesetze nur im traum verlesen werden


verbrieft nicht auf papier,

sondern in der wechselwärme

zwischen hauch und haut


ein kodex aus atmung,

die nie besitz behauptet

nur duldung –

auf gläserner schwelle


und wenn dein finger zittert

kehrt ein land zurück,


im kleinen finger

ein zeltlager aus schnee,

der schneefall flüstert dort: «komm zu spät,

aber komm»


(dann: deine hand auf meiner,

der abruf aller topographien in einem tastmoment)


und so wandere ich

tagelang durch deine linien,

ohne zu wissen, wo du endest


und nenne dich welt.



 – seefeldmaren –



 


Winternachlass



 – Die Bäume, die auf beiden Seiten

den unscheinbaren Fluss begleiten,

und ersten Frühlingsschimmer zeigen,

sind wie bewimpelt an den Zweigen.


Dort flattern Tücher und Papiere

als ob sich jemand kostümiere,

und Plastikplanen, Windeltüten

weit besser kleideten als Blüten.       


Von nah betrachtet sind die Schätze

nur eitel Müll, und die Gesetze,

nach denen sie hinaufgetragen,

ein Streich aus nassen Wintertagen: 


Der Fluss brach aus im Dauerregen

und schleppte Raub von allen Wegen

zuletzt noch bis in höchste Zweige -

Erst dann ging seine Kraft zur Neige … 



alternativ:



Der Winter schickte Guss auf Guss,

und ungehalten sprang der Fluss

aus seinem Bett und griff vom Rand,

was immer er an Unrat fand.


Dann stieg er in die nackten Kronen

der Weiden, die am Ufer wohnen

und hängte alles in die Zweige. –

Danach ging ihm die Kraft zur Neige.


Im Frühling wollten Weidenkätzchen

hinaus an ihre Blütenplätzchen,

und sahen, auf den Ästen brüten

jetzt Zeitungen und Plastiktüten.


Und dachten augenblicks, es handle,

da sich ja auch das Klima wandle,

um eine dieser Mutationen,

die auch die Vögel nicht verschonen …



– gummibaum –



Mai 09, 2025



windweg nachhaus



 – Wind weht

ein paar Strähnen

aus meinem Lächeln –

wie Fingerspitzen

Harfe spielen.


Die Straße atmet flach,

die Laternen noch zu müde

für Licht.

Ich denke mir Schritte

wie kleine Versprechen,

die ich niemandem schulde.


Ein Auto rollt vorbei,

trägt ein Lied auf seiner Stoßstange

und einen Streit auf dem Rücksitz.

Ich nehme nur die Melodie mit.

Sie passt zu mir

wie ein Schatten,

der mich freiwillig begleitet.


Zuhause liegt

noch das halbe Gedicht

auf dem Küchenstuhl,

und der andere Teil

läuft barfuß durch den Hof

und lässt sich

sonnig vergessen.


Ich bin

nicht angekommen.

Bin nur hier.



 – Max von der Heydt –



Mai 08, 2025



Wenn im Mai ... 



 – Wenn im Mai die Toten lauschen 

und im Grab die Knochen tauschen, 

wenn der Erpel bei der Frieda 

schnäbelt sich ans Brustgefieder, 

wenn die ersten Hummeln bummeln 

und sich unter Mützen schummeln – 

klingt ein Ruf durch alle Lande: 

«Frühlingslust ist keine Schande!» 



 – James Blond –





Da sein 

oder nicht da sein?



 – Dadamensch und Dadamaus

schauen aus dem Sein hinaus,

heißt: Sie stehn am Rand der Welt,

da, wo man hinunterfällt,

wenn man sich ins Nicht-Sein beugt

und so beispielhaft bezeugt,

dass dem Maus-und-Menschen-Spiel

nur das Da als Da-Seins-Ziel

Da-Da-haftig Seinssinn spendet,

weil man sonst als Grenz-Fall endet.



 – sufnus –



Mai 07, 2025



 Bushaltestelle



 – Die Tropfen treffen das Plexiglas,

klingeln wie Münzen auf leerem Boden,

schlagen Takte,

die niemand zählt,

außer vielleicht der Wind,

der zwischen den Häusern die Zeit verliert.


Die Straße glänzt,

nicht schön,

nicht sauber,

nur: nass und ehrlich,

mit Pfützen, die wie zu große Augen blicken,

stumm,

offen,

müde.


Ich sitze auf der Bank,

das Holz unter mir gibt nach,

aufgesogen vom Regen,

nicht mehr hart,

nur noch schwer.


Meine Jacke klebt an den Ellenbogen,

meine Beine angewinkelt,

Schuhe aufgesogen vom Wasser,

die Socken ein nasser Film an der Haut,

und ich atme durch den Kragen,

weil die Luft da wärmer ist.


Die Welt riecht nach nassem Teer,

nach Rost in den Dachrinnen,

nach zerquetschtem Laub,

nach feuchter Haut und

den fernen Essensgerüchen

einer Küche,

die ich nie betreten werde.


Lichter von Autos in der Ferne —

nicht hell, nicht schnell,

nur verschwommene Blasen aus Gelb und Rot,

zerlaufend wie alte Träume.


Keine Autos kommen hier vorbei.

Kein Mensch.

Nur das Summen der Laterne,

dieses matte, sirrende Klingen,

als hätte auch das Licht vergessen, wofür es brennt.


Der Regen kitzelt die Haut durch die Stoffschichten,

sickert zwischen die Fasern,

zieht Linien über den Rücken

und malt Muster,

die niemand sieht.


Meine Hände in Taschen,

zu klein für Kälte,

zu leer für Träume.


Und irgendwo dazwischen –

zwischen Tropfen und Dunkel,

zwischen dem feuchten Herzschlag des Bodens

und dem müden Puls in meinem Hals –

ist ein Frieden,

so still,

dass selbst die Traurigkeit

leiser atmet.


Kein Moment für Helden.

Kein Film wird ihn je drehen.

Kein Lied wird ihn je summen.


Aber ich sitze hier,

inmitten von nichts,

inmitten von allem,

im Herzschlag der Nacht.


Und glaube:

Vielleicht reicht das.

Vielleicht reicht genau das.



 – Max von der Heydt –