Dezember 05, 2025



Der böse Dichtertroll



 – Ach tausend Träume sind ihm schon verloren 

Gegangen weil er immer Neues will

In geiler Suche nach dem nächsten Thrill

Durchhechelt er die virtuellen Foren


Identitäten hat er manche sieben

Allein im Literaten Paradies

Erst schreibt er zärtlich dann so richtig fies

Spielt Frau in Rente Hallo meine Lieben


Urplötzlich wird er böse selbstverzagt 

Beleidigt schroff die LeserInnen schreit

Bis ihn die doofen Mods verbannen doch


Minuten später wieder da und klagt

Sich selbst hysterisch voller Einsamkeit 

In seinen Schwabbelbauch ein Jammerloch



– Aron Manfeld -



Dezember 04, 2025



Geschenk 


( Senryu )



 – Habemus Pappe
und die Altpapier-Tonne
ist bis oben voll



 – Didi.Costaire – 





Ein kleines Tröpfchen Staunen



 – Ein kleines Tröpfchen Staunen senkt sich sanft ins Kerzenlicht.

Es hört das Singen heller Stimmen durch die Scheibe nicht,

noch ahnt es von den Worten, die der Prediger dort spricht.

Sacht streichelt es das Spiegeln auf dem gläsernen Gesicht

und schreibt mit seiner Seidenspur für dich dieses Gedicht.


Das kleine Tröpfchen Staunen spricht die Sprache, die entsteht,

wenn eines langen Tages Leuchten schwach wird und vergeht.

Es braucht den Ton nicht, keinen Spruch, kein Kreuz und kein Gebet,

nur Achtsamkeit benötigt es. Denn sie ist’s, die versteht:

Im Unscheinbaren wird der Welt Beschaffenheit konkret.


Siehst Du ein kleines Tröpfchen Staunen, schau genauer hin.

Auch wenn es wesenlos erscheint, steckt so viel für dich drin.

Sein Dasein ist ein flüchtiges, und dennoch ein Gewinn:

In seinem steten Schwinden schenkt sein Schimmern dir den Sinn

für jedes Tages oder jedes Jahres Neubeginn.


– Marcus Sommerstange –



Dezember 03, 2025



Moderne Beziehung



 – Ein flaches Kästchen, schwarz lackiert

Das Vorderteil glänzt prächtig

Sie streicht es schnell, ganz ungeniert

Und manchmal auch bedächtig

 

Dann spricht sie in ein kleines Feld

Am Rande der Umrahmung

Wie zärtlich sie den Kasten hält

Ganz nah an der Umarmung

 

Aus einem unscheinbaren Schacht

Ertönen Liebesschwüre

Erstaunlich, was es mit ihr macht

Beziehungskuvertüre

 

Und auch das Auge wird beglückt

Ein Bild durchdringt den Äther

Es folgt der Sprache, wie verzückt!

Sofort und nicht erst später

 

Dann endet dieses Tête-à-Tête

Das körperlose Schmusen

Sie drückt das kleine Sprachgerät

Verliebt an ihren Busen …



– Volker Teodorczyk –



Dezember 02, 2025



kornblumenweg



es zog mich

in die stunde 

deines sternenkranzes

du nahmst mich

aus den reihen

wie hände

sich aus staub

ein windstrich

ließ dich liegen

er brach

dein blaues leuchten

wie mich

in deinen grund 



– ubertas –




 

 

Bei diesen wunderbaren Zeilen von dir, liebe ubertas …

 … Andernorts hatte ich ja eine Infragestellung bestimmter Formen von Gedichtinterpretation formuliert, nämlich solcher Interpretationen, welche eine Gedichtrede in «Klarsprech» übersetzen und damit alles das über Bord gehen lassen, was für mich ein Gedicht typischerweise (mit regelbestätigenden Ausnahmen!) zum Gedicht macht.

Diese meine Skepsis gegenüber bestimmten Formen von Interpretationen im Dienste der De-Poetisierung bedeutet aber keineswegs, dass ich nicht auch mit einem verstehenwollenden Anspruch an ein Gedicht herantrete, er wird eben nur durch einen emotionalen Ansatz ergänzt und am Ende steht je nachdem entweder ein: «Ich fühle es, weil ich es verstehe» oder ein: «Ich fühl es, das genügt» oder auch ein «Ich fühle es, weil (sic!) ich es nicht verstehe».
 
… bei diesen wunderbaren Zeilen von dir, liebe ubertas, wohne ich irgendwo zwischen all diesen drei Ansätzen und das ist mir beim Gedichtelesen der liebste Zustand …
 
… zunächst einmal, dass hier ein lyrisches Ich eine gefährdete Glückserfahrung in der Begegnung mit einem lyrischen Du schildert. Das lyrische Ich ist die Singstimme des Gedichts, das lyrische Du ist eine Kornblume und die (nicht ganz eindeutig wirksame) Bedrohung geht vom «Windstrich» aus. Dieser Windstrich – und hier verlasse ich die Ebene des «unpoetischen Redens und Fühlens» – scheint mir eine Art luftiger Landstrich zu sein und im Gegensatz zum geläufigen und auf festem Boden ruhenden Landstrich ist diesem luftgeisthaften Windstrich eine gewisse Geschäftigkeit zu eigen, die dem ortsfesten Landstrich, zumindest außerhalb eines Gedichts, fremd bleibt. Ob die Wirkungen des Windstrichs nun eher dem Schönen oder dem Destruktiven verpflichtet sind, bleibt ein bisschen offen, woraus ich schließe, dass hier ein bisschen was von beidem «im Spiel» ist.
Zuletzt, komme ich bei der Aufhebung jeder Versteh-Haltung an und genieße die Vorstellung, dass in diesem Gedicht eine kleine Kornblume einen glücksempfänglichen Menschen aus dem grauen Leutestrom gebrochen hat (mit tätiger Windhilfe) und die zwei hübschen, Blume und Mensch, nun Einträchtigkeit üben. Es müsste doch unbedingt einen Kornblumenkavalier geben, der könnte sich dann von seinem großen Geschwister eine Zeile ausborgen: «Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, dass wir zwei beieinander sein.»

 – sufnus –

Dezember 01, 2025




– w – wie welt



 – wir wissen wenig was werden wird

wenn wir wirkungslos

weiterwursteln


wie weit werden wir wohl wandern  

wenn wasser weniger 

wird


wissenschaftler warnen wo wälder 

welken werden wüsten

wachsen

 

werwölfe wagen weite wege wittern

westwärts wehrlose

wesen


welche welt wollen wir weitergeben 

wenn wir widerstandslos 

weichen




wirrer wintertagstraum woanders

wach werden wäre 

wunderbar



 – TassoTuwas –



November 30, 2025



Weltformel



 - Auf Nullniveau mit Schwundgebärde

zur Niederkunft - das Einmaleins

der Goetheklasse: Stirb & werde!

Wer jetzt noch «Herz» ruft, der hat keins


und macht sich selber ungeschehen

in Fluchtdistanz zum großen Staunen,

wenn Niemandsnamen uns verwehen

beim Zeitvertreiben (Ablaufraunen).


Und Totstelltricks? Bloß faule Zauber

aus Sinn und Form und Material;

der Letzte wischt den Tatort sauber:

Das läuft schon, Leute! Präfinal


blickt ratlos zwischen Schrei und Schreibe

kein Schwein mehr durch. Die nackten Zahlen

zerformeln sich: Die Welt als Scheibe

mit schlimmer Neigung zum Realen.



- sufnus –



Eine Interpretation des Gedichts von – ubertas –

Vom Titel «Weltformel», dem die Sehnsucht des Strebens, eine gültige Formel zu finden, die Alles in sich vereinend beschreibt, wage ich mich in eine nähere Betrachtung:


Auf Nullniveau mit «Schwundgebärde» sehe ich das Bild eines frei gewählten Ausgangspunkts gesetzt, der in einem Gefüge aus Himmel und Erde beliebig wählbar ist. Somit wird dieser Ausgangspunkt, das Nullniveau, gleichzeitig auch zu einer selbst bestimmten Basis, von der ich den Eindruck habe, sie würde die Welt regeln, ihr Energie zuschreiben, nach meiner Festsetzung, dadurch auch «funktionieren». Dagegen winkt förmlich die «Schwundgebärde», die aufzeigt, dass sich diese Ansichten womöglich bereits in Auflösung befinden und sei es die eigene Wahrnehmung oder auch unser selbst geschaffenes Weltbild schwinden lässt. «zur Niederkunft», ob verstanden als den Weg zur Geburt eines gewandelten, höheren Ichs oder in Anlehnung an das Herabsinken aus unseren oben für uns selbst ausgemachten Fixpunkten, erscheint in der dritten Verszeile «Stirb & werde!» wie ein stilles Ausrufen, in diesem irdischen und überirdischen Zerfallsprozess noch Bestand haben zu wollen, durch Wandel und Erkenntnis. Was wie ein Einmaleins erscheint, wird wie in «Seliger Sehnsucht» beschrieben, zu einer der schwierigsten Aufgaben, zur Wahrheit zu gelangen oder weiter in dunkler Erde ummantelt zu liegen. Ich denke dabei an das Bild des verbrannten Schmetterlings. Erst wenn es gelingt, diese «Aufgabe» zu erreichen, erreicht auch das «Herz» eine Loslösung. 


In der zweiten Strophe finden sich verschiedene «Methoden», die wohl am ehesten das menschliche Versuchen beschreiben. «und macht sich selber ungeschehen in Fluchtdistanz zum großen Staunen». Der Mensch macht sich ungeschehen, er entzieht sich, verharrt mit sicherem Abstand zum großen «Staunen» hin, will es begreifen, kann es aber nicht. Zur gleichen Zeit wird ihm bewusst, dass er endlich ist und «Niemandsnamen» uns verwehen können, während wir uns die Zeit damit vertreiben, dem Ablauf einer Bewusstwerdung nachzuflüstern. Es weht der Wind der Vergänglichkeit um ihn.


Die Frage «Und Totstelltricks?», die Freunde und Feinde des sich schützen wollenden, aber blinden Geistes, sie werden entlarvt in der dritten Strophe. «Bloß fauler Zauber aus Sinn und Form und Material»; diese Formulierungen deuten an, dass die «Weltformel» wohl nicht in den gegebenen Statuten zu finden ist, sich dieser von uns festgelegten Ordnung sogar zu entledigen scheint. Nach seiner Suche widmet sich der Mensch wieder dem, was er erkennen kann und gibt sich ebenso geschlagen. «der letzte wischt den Tatort sauber: Das läuft schon, Leute!» Er gibt die Verantwortung für sich selbst ab. Präfinal als Vorbote seiner sich entschuldigen wollenden Vergänglichkeit. 


Was bleibt ihm letztlich? «blickt ratlos zwischen Schrei und Schreibe kein Schwein mehr durch»: Sein Bemühen zwischen dem Rufen, Ausschreien, seiner nach Hilfe schreienden Fragen und dem, was er sich dazu niederschreiben will, dazwischen bleibt nur das «und». Da kein Schwein mehr durchblickt, macht es nur Sinn für ihn, dass sich auch die Fakten «zerformeln», sie brechen auseinander, die «Zahlen» lösen nicht sein Rätsel. Die als Scheibe wahrgenommene Welt zerspringt zwar nicht, aber sie neigt sich hin zum «Realen». «Mit schlimmer Neigung» nimmt sie sich die Substanz.

– ubertas –