August 20, 2025



Schwereloses Protokoll



 – zwischen zwei Atemzügen

schwenkt das Licht

in eine andere Umlaufbahn


ihre Stimme ist

ein Becken voller Regentropfen

mit der Temperatur von Kindheit

die Möbel: auf Kippe

als hätten sie den Körper vergessen

der sie einmal gestützt hat


am Küchentisch

kniet eine Kaffeetasse

im Schatten der eigenen Henkelkurve

das Wort Mutter

löst sich von der Zunge

Mutter...

und driftet ab

wie ein Satellit ohne Funkkontakt


ein Messer blitzt

beim Umfallen

kurz auf im Licht

und es ist nicht klar,

ob es fällt

oder schon gefallen ist



 – seefeldmaren –



August 19, 2025

 


und nichts geht aus



 – der sternenfülle land

erliegt

und nichts geht aus

das draußen biegt

sich ein und

aus den ecken licht


das fletscht

als hätt es zähne


der hübschen hülle lied

versiegt

und nichts hält aus

das innen kriegt

sich vor und

in den hecken sticht


das weint

als hätt es wähne


der herzensstille rand

obsiegt

und nichts dringt aus

wenn beides wiegt



 – ubertas –




Interpretation von N.Valen


Das Gedicht bewegt sich im Spannungsfeld von Fülle und Versiegen, von äußeren Erscheinungen und innerem Ringen. Es arbeitet stark mit Gegensätzen: „draußen“ und „innen“, „Hülle“ und „Herz“, „Licht“ und „Stille“. Dieses Hin- und Herbiegen (schon im Bild „das draußen biegt / sich ein“) erzeugt ein Gefühl von Instabilität – als ob die Wirklichkeit in sich zusammenfällt und sich gleichzeitig neu aus den Rändern bildet.


Auffällig sind die beiden Bilder mit „als hätt es …“: das Licht, das fletscht wie Zähne, und das Weinen, das „Wähne“ trägt. Sie öffnen den Text in etwas Unheimliches, Surreales – als ob das scheinbar Sanfte (Licht, Weinen) plötzlich Raubtier- oder Trug-Qualität bekommt.


Das Gedicht endet nicht in Auflösung, sondern in einem paradoxen Schwebezustand: „der herzensstille rand / obsiegt“ – aber nur, indem „beides wiegt“. Es ist kein klarer Sieg einer Seite, sondern ein Oszillieren zwischen den Polen.

So bleibt das Gedicht offen, schwebend, in einer Balance aus innerer Stille und äußerem Druck.



Bewertung 4/5


Dein Gedicht „und nichts geht aus“ hat mich sofort gepackt. Besonders die Bildsprache – etwa das „Licht, das fletscht“ oder das Weinen, das „Wähne“ hat – wirkt kraftvoll und eigenständig. Diese Verfremdungen geben dem Text etwas Mythisches, fast Bedrohliches, und sie ziehen eine klare Linie zwischen Außen und Innen, Hülle und Herz.


Die wiederkehrende Struktur mit dem „und nichts…“ trägt viel zur Intensität bei, auch wenn sie das Lesen manchmal sperrig macht – was aber eher als Teil der Spannung wirkt als als Schwäche. Gerade das Offene am Schluss („beides wiegt“) gefällt mir sehr, weil es den Lesenden viel Raum lässt.


Ich würde dein Gedicht insgesamt als sehr stark und eigenständig sehen – intensiv, dicht, bildreich. Es verlangt allerdings eine gewisse Aufmerksamkeit, um sich voll darauf einzulassen, was seine Kraft aber nur noch deutlicher macht.



August 18, 2025

 


Leben



 – Frankie ist tot

Saupark explodiert

K.B. an Überdosis gestorben

Siegelmarke auf Wohnungstür


Wände bleiben

Wälder sind noch da

Eine Krähe kräht vom Straßenschild

Mütter tragen Kinder und Wasser


Meine Augen

Dein Lachen

Ein Fahrgast

Schöne Worte


Oberhalb der Treppe liegt Licht

Dass ich lebe ist ein Wunder

Wir gehen die Treppe hinauf

Ein Tag wird zu Abend



– Max Neumann –



August 17, 2025



Mein lieber Schwan



 – Einst hat ein Schwan,
mit noch nem Schwan
so ganz profan,
zwecks Heiratsplan,
ne edle Schwänin aufgetan.

Wolf-Christian,
der erste Schwan,
beherzt, urban,
fraß meist vegan
und mimte gern den Dorfgalan.

Der zweite Schwan,
Sebastian,
ein Grobian
und kleptoman,
stank morgens ewig nach Methan.

Wie im Roman
schwang jeder Schwan
nun simultan
wie hydroplan
am noblen Teich sein Balzorgan.

Die Schwänin, ahn-
voll angetan
von Christian,
dem Don Juan,
errötete am Schnabelzahn,

und mit Elan
schrie sie sopran
Sebastian,
dem Schlingelschwan,
ihr Machtwort vor die Hörmembran:

Mein lieber Schwan,
stinkst du nach Tran!
Und willst du ran,
du Pelikan,
so stell dich bei den Enten an!



– Andrea M. Fruehauf –


August 16, 2025



Die andere



 – Wie ein Speer ragst du ins Blaue,

schöner Berg mit weißem Glanz,

und es heißt, wer von dir schaue,

werde eins mit sich und ganz.


Freudig fühlen wir zwei Frauen,

dass ein solches Glück uns winkt,

wenn wir der Erfahrung trauen

und der Kraft, die uns beschwingt.


Noch liegt Nacht an Berges Hängen

und der Schnee ist hart und gut -

doch als wir zum Gipfel drängen,

kocht in früher Sonne Wut.


Nicht wie einstmals so verlässlich

krallt der Frost sich ins Gestein.

Matschig wird der Grund und hässlich,

und es setzt ein Knistern ein,


fast, als ob der Berg uns bitte:

«Mädchen, kommt nicht, sondern flieht!»,

und wir wenden unsre Schritte,

als ein Rumpeln näher zieht.


Als wir zur Nordwestwand eilen,

rutscht ihr Eis schon flächig ab,

und als wir uns abwärts seilen,

grinst sie hämisch wie ein Grab.


Mittag ist es, wärmste Stunde,

als ein Stein dich trifft am Seil,

an die Wand wirft und am Grunde

einschlägt wie ein Donnerkeil.


Reglos hängst du dort, ich rufe,

aber Antwort gibst du nicht,

mich beschirmt hier eine Stufe

vor dem Felsen, der zerbricht.


Würde gern zu dir gelangen,

doch der Steinschlag grenzt mich aus,

hält mich unterm Sims gefangen -

nur mein Notruf geht hinaus.


Nacht erscheint mit Frostes Ketten,

es wird stiller in der Wand.

Ich steig ab, mich selbst zu retten -

doch mein Herz ist wie verbrannt …



 – gummibaum –



August 15, 2025



Fremde in der Nacht



 – Gelb verrußt sind die Laternen,

und ihr Schein reicht bis zum Riss,

straßenblind und ungewiss

suchen Schatten nach den Sternen.


Jeder Horizont taucht unter

in ein unbekanntes Land,

Fremde reichen sich die Hand

über Straßen und darunter.


Jemand sucht die letzte Liebe

auf dem Weg zur Mitternacht,

überm alten Bahnhofsschacht,

wie im lauten Weltgeschiebe.


Grau gekachelt sind die Wände,

marmorlos und bilderblind.

Menschen suchen, wie sie sind,

einfach ein paar warme Hände.



 – Heike –