Juni 18, 2025



 Lieder der Kreuzung



 – Hinter der Kreuzung

Wo Schwestern Lieder schreiben

Beim verlassenen Heim

Wo Kinder unter Betten warten


Die Zeit der Paläste vorüber

Alles zerbrach

Damit Neues entsteht

Wo Mütter Lieder suchen


Verloren gingen Geschichten

In eisblauen Nächten

Als Väter Herzen brachen

Im Wahnsinn


Manche starben

Andere blieben hier

Um an leeren Gleisen nach

Vergessenen Liedern zu suchen


Während dunkel die Züge ruhen

Wo Tote mit Sternen jonglieren

Um zu Liedern zu werden

Lieder der Kreuzung



– Max Neumann –



Juni 17, 2025



( Grafik © Petrus3743 Wikipedia )


Der Satz des T


Ein Kreis umschlang mit ganzer Weite

ein Dreieck an der längsten Seite,

und die noch freie Ecke spürte,

sobald auch sie den Kreis berührte,


wo immer sie dies zärtlich tat,

im Schenkelzwickel neunzig Grad.

Da stutzte Thales von Milet

und rief: «Jetzt weiß ich, wie es geht!»



– gummibaum –



 


Der Zweifelsfall



 – Ein Fluss, der durchs Gebirge drängt,

wird von zwei Felsen eingezwängt.

Die grauen Wände, steil und schroff,

sind Anlass für Gelehrtenzoff,


denn längsseits beider Schluchtenränder

verläuft die Grenze zweier Länder.

Die Frage, die man klären muss:

Zu welchem Land gehört der Fluss?


Sie lässt so manchen Geografen

in seinem Bett nicht friedlich schlafen.

Ein Rätsel, würdig einer Sphinx:

Ein Felsen rechts, ein Felsen links,


der wilde Wasserschwall dazwischen.

Wer darf mit welchem Pass hier fischen?

Noch fand sich kein erhellter Geist,

der hier den Weg zur Lösung weist.


Der Katarakt mit Donnerschall

bleibt weiterhin ein Zwei-Fels-Fall ...



 – Cornelius –



Juni 15, 2025

 


S-Lyrik



I.


Der Juni ist präzise

er führt das Sommerbuch

mit Akribie


Mein letzter Eintrag handelte von kühlen Nächten

und ich gestehe meine Schönschrift war dabei

etwas nachlässig und wie ich fürchte

metrisch ungenau


Im Stillen träume ich vom Tau



II.


Komm kleiner Fuchs

bring mich nach Haus

den Wolken ging der Regen aus


Und schlägt der Wind

dem Leichtsinn noch

das Wetter um

dann find ich uns ein Nesselblatt


Ich warte am Aglaiahang

komm kleiner Fuchs

wir wollen heim



III.


Ab hier fehlt der Gesang

der Grazien steht im Hesiod

der Sommer ist bekanntlich stumm


Ich hab mir sagen lassen dass

im Baggersee seit Jahren

niemand mehr ertrunken ist



IV.


Jetzt heißt es warten

die Welt ist rund

ich hasse Rilke

ab morgen wird

der Wetterdienst sich äußern



 – sufnus –



Juni 14, 2025

 


Was denn nun?



 – Läufst du, Juni, heißer Sprinter,

mit der Sonne, Hand in Hand

durch die Zeit, träum ich vom Winter

und der Flucht vorm Schwitzerland.


Etwas scheint mich zu bewegen,

was der Mensch wohl Unrast nennt.

Brennt die Sonne, will ich Regen,

fällt der, wünsch ich vehement,


dass in all den grauen Wolken

sich ihr Antlitz regen mag.

Ist sie da, denk ich: Gemolken

sollte doch manch Wolken-Sack


wieder werden, zwecks Erfrischung

und dem ganzen Trallala –

in mir lebt halt diese Mischung

aus: Komm her, doch sei nicht da!



 – niemand –



Juni 13, 2025



Bezirk



 – Unter den dicken Bäuchen

Stehn Gürtel offen

Und Hosenställe auf Augenhöhe

Mit Dickbrüstigen

Muskulösen

Die mit kühlender Hand

Kniekehlen umschlingen vor

Geisterlosen

Küsten stemmt sich ein Wurm

Aus dem Watt um statt Fehlfarben

Jeglichen Horizonts

Verlorene Wolken zu küssen

Weicht das Licht aus dem Flur

Über gepolsterte Lehnen

Die Samtabdrücken standhalten

Unten vorm Lokal

Strotzen die Laternen



– ubertas –



Juni 12, 2025

 


Hymne 

an meinen Friseur



 – Therapeuten, Psychologen

Sehen ihren Stand bedroht

Anerkannte Demagogen

Stapeln klein in ihrer Not

 

Trainer für das Motivieren

Lebenshilfen, stundenweise

Gehen nun auf allen Vieren

Niemand zeigt sich derart weise

 

Wie der Mann mit Kamm und Schere

Und auch lustvoll, jedenfalls

In genehmer Atmosphäre

Köpfe stylt wie einst der Walz

 

Nebenbei verlieren Haare

Fast geräuschlos Überlänge

Ich genieße all die Jahre

Wachstum meiner Bildungsmenge

 

Rundfunk, Zeitung, wenig Nutzen

Nichts hat derart Wissenskraft

Nebenbei noch Brauen stutzen

Nacken kahl und fast geschafft

 

Brille auf und Hörgeräte

Werden sorgsam adaptiert

Scheitel stramm, es glänzt die Pläte

Kurz gegelt, gut amüsiert!



– Volker Teodorczyk –