August 23, 2025



Einanderung



 – Ich kann Dich noch denken Marie

jetzt komm lass uns

verleisebaren


Wir finden uns

die kleinste Tür ins Freie

da geht es in den Wald bei Nacht


Ein Märchen endet immer

mit dem nächsten Satz

hier hört es also auf

und da (weit fort)

wo weiter niemand liest


Da fängt es letztlich an.



– sufnus –





Interpretation von N.Valen


„Einanderung“ – das ist ein Wort, das sofort hängenbleibt.

Für mich klingt es wie der Vorgang des Einander-Werdens, etwas Dauerhaftes, fast Beschwörendes. Es wirkt vertraut und fremd zugleich – weil es so sauber aus der deutschen Wortbildung heraus wächst, und doch völlig neu ist.


Dass daneben auch „verleisebaren“ auftaucht, verstärkt die Wirkung: die Wörter klingen nicht wie Spielerei, sondern wie ernstgemeinte Zauberformeln. Das Gedicht wird dadurch zu einer Szene, in die man hineingezogen wird.


Ich habe mich beim Lesen gefragt, wie unterschiedlich Wortschöpfungen klingen können – mal beschwörend wie hier, mal spielerisch oder augenzwinkernd. Aber so oder so: sie öffnen einen Raum, den nur Lyrik erschaffen kann.


Bewertung:

„Der Text hat eine schöne, märchenhafte Stimmung und die Wortneuschöpfungen wirken originell. Für mich hakt es an manchen Stellen aber etwas im Lesefluss, sodass die Bilder nicht ganz so klar und geschlossen wirken.“

August 22, 2025

 


Herr, was nützt schon 

der Wille …



 – Im Sonnenschein geht einer, der recht gern

nach Mädels schaut. Besitzen wär sein Ziel.

Doch bleibt ihm, hier auf diesem Erden-Stern,

Erfüllung nur noch als Gedankenspiel.


Sein Alter hat sein aufrecht Stehn vermindert,

gelegentlich sogar total verschluckt.

Es lässt ihn hängen, was manch Weiblein hindert,

dass es verlangend zu ihm rüber guckt.


Nun blickt der Ärmste auf die schönsten Waden,

giert nach den Kugeln hinten, wie auch vorn.

Sein Sinn ist mit Verbindungswunsch beladen.

doch ging ihm das Verbindungsstück verlorn.



 – niemand –



August 21, 2025



Schwarzes Gold



 – Hier steh ich auf dem Rathausflur.

Von Menschenleben keine Spur.

Mich grüßt, spendiert von Vater Staat,

ein Heißgetränkeautomat.


Die Lippen sind schon angefeuchtet,

als dunkelgrün das Display leuchtet:

«Befolge meine Instruktionen,

dann wird dich Göttertrank belohnen!


Schritt Eins: Performance-Modus wählen.»

Nun muss ich meine Nerven stählen.

Ich kratze mich am Hinterkopf

und drücke wahllos einen Knopf.


Es gurgelt in den Eingeweiden

des Apparats. Er meint bescheiden:

«Zuvorderst müssen Euer Ehren

den Kaffeesatzbehälter leeren.»


Gesagt, getan. Die Bahn ist frei,

so will ich hoffen, für Schritt Zwei?

Im Leuchtfeld wächst ein Ladebalken,

dann blinkt die Schrift: «Gerät entkalken.»


Ich greife mir die nächste Dose

und leere sie ins Bodenlose.

Begierig schluckt der dunkle Schacht

die weiße Rieselperlenfracht.


Das war noch längst nicht alles. Wetten?

«Schritt Drei: Die Brüheinheit entfetten.»

Wie sollte mir das möglich sein?

Mir fehlt ja der Barista-Schein.


Schnell tippe ich auf «Überspringen».

Vielleicht wird es ja so gelingen.

Es braust und zischt und dampft und grollt.

Dann endlich fließt das schwarze Gold


und füllt die Tasse bis zum Rand.

Sie zittert leicht in meiner Hand.

Der Kaffee strömt mir bis ins Mark.

Die Tasse springt. Er war zu stark.



 – Cornelius –



August 20, 2025



Schwereloses Protokoll



 – zwischen zwei Atemzügen

schwenkt das Licht

in eine andere Umlaufbahn


ihre Stimme ist

ein Becken voller Regentropfen

mit der Temperatur von Kindheit

die Möbel: auf Kippe

als hätten sie den Körper vergessen

der sie einmal gestützt hat


am Küchentisch

kniet eine Kaffeetasse

im Schatten der eigenen Henkelkurve

das Wort Mutter

löst sich von der Zunge

Mutter...

und driftet ab

wie ein Satellit ohne Funkkontakt


ein Messer blitzt

beim Umfallen

kurz auf im Licht

und es ist nicht klar,

ob es fällt

oder schon gefallen ist



 – seefeldmaren –



August 19, 2025

 


und nichts geht aus



 – der sternenfülle land

erliegt

und nichts geht aus

das draußen biegt

sich ein und

aus den ecken licht


das fletscht

als hätt es zähne


der hübschen hülle lied

versiegt

und nichts hält aus

das innen kriegt

sich vor und

in den hecken sticht


das weint

als hätt es wähne


der herzensstille rand

obsiegt

und nichts dringt aus

wenn beides wiegt



 – ubertas –




Interpretation von N.Valen


Das Gedicht bewegt sich im Spannungsfeld von Fülle und Versiegen, von äußeren Erscheinungen und innerem Ringen. Es arbeitet stark mit Gegensätzen: „draußen“ und „innen“, „Hülle“ und „Herz“, „Licht“ und „Stille“. Dieses Hin- und Herbiegen (schon im Bild „das draußen biegt / sich ein“) erzeugt ein Gefühl von Instabilität – als ob die Wirklichkeit in sich zusammenfällt und sich gleichzeitig neu aus den Rändern bildet.


Auffällig sind die beiden Bilder mit „als hätt es …“: das Licht, das fletscht wie Zähne, und das Weinen, das „Wähne“ trägt. Sie öffnen den Text in etwas Unheimliches, Surreales – als ob das scheinbar Sanfte (Licht, Weinen) plötzlich Raubtier- oder Trug-Qualität bekommt.


Das Gedicht endet nicht in Auflösung, sondern in einem paradoxen Schwebezustand: „der herzensstille rand / obsiegt“ – aber nur, indem „beides wiegt“. Es ist kein klarer Sieg einer Seite, sondern ein Oszillieren zwischen den Polen.

So bleibt das Gedicht offen, schwebend, in einer Balance aus innerer Stille und äußerem Druck.



Bewertung 4/5


Dein Gedicht „und nichts geht aus“ hat mich sofort gepackt. Besonders die Bildsprache – etwa das „Licht, das fletscht“ oder das Weinen, das „Wähne“ hat – wirkt kraftvoll und eigenständig. Diese Verfremdungen geben dem Text etwas Mythisches, fast Bedrohliches, und sie ziehen eine klare Linie zwischen Außen und Innen, Hülle und Herz.


Die wiederkehrende Struktur mit dem „und nichts…“ trägt viel zur Intensität bei, auch wenn sie das Lesen manchmal sperrig macht – was aber eher als Teil der Spannung wirkt als als Schwäche. Gerade das Offene am Schluss („beides wiegt“) gefällt mir sehr, weil es den Lesenden viel Raum lässt.


Ich würde dein Gedicht insgesamt als sehr stark und eigenständig sehen – intensiv, dicht, bildreich. Es verlangt allerdings eine gewisse Aufmerksamkeit, um sich voll darauf einzulassen, was seine Kraft aber nur noch deutlicher macht.



August 18, 2025

 


Leben



 – Frankie ist tot

Saupark explodiert

K.B. an Überdosis gestorben

Siegelmarke auf Wohnungstür


Wände bleiben

Wälder sind noch da

Eine Krähe kräht vom Straßenschild

Mütter tragen Kinder und Wasser


Meine Augen

Dein Lachen

Ein Fahrgast

Schöne Worte


Oberhalb der Treppe liegt Licht

Dass ich lebe ist ein Wunder

Wir gehen die Treppe hinauf

Ein Tag wird zu Abend



– Max Neumann –