August 10, 2025



Wie man auch noch 
die letzten Leser vergrault 
Lektion 1



 – Ich bin mir relativ sicher,

dass ich diese Worte hier

bloß in meiner Fantasie

in die Tastatur tippe


und mich in Wirklichkeit

in irgendeiner Psychiatrie befinde,


wo ich sie

mit den eigenen Fäkalien

an die Wände

des Gemeinschaftsraums schmiere,


nur um die Pfleger zu ärgern.


***


Ich weiß weder,

warum ich das hier kursiv schreibe

noch warum ich es überhaupt schreibe.


Aber die Finger

kriechen über die Tastatur


wie Maden

über eine offene Wunde


und


AUF EINMAL

SCHREIBE ICH

IN GROSSBUCHSTABEN!


"Stell dir nur mal vor", sagt plötzlich einer,

"in diesem sogenannten Gedicht

würde jetzt auch noch jemand

Wörtliche Rede verwenden!"


***


Das ist nicht philosophisch,

sondern pathologisch;


keine Kunst,

sondern Geisteskrankheit.


Wäre ich der Leser

und nicht der Autor,


würde ich ebenfalls denken,

dass ich sie nicht mehr alle habe.


Und würde ich

ein "R" verlieren,

wäre ich kein "Autor" mehr,

sondern ein "Auto"


und vielleicht

würden mir spontan

vier Räder wachsen.


Wer weiß?


IHR jedenfalls nicht!

Ihr wisst ja nicht mal,

ob ich eine Hose trage,

während ich schreibe


... und ihr werdet es

auch niemals erfahren.


***


Vielleicht

sollte ich meine Texte demnächst

auf Fünfzig-Euro-Scheine schreiben

und an Obdachlose verschenken.


Wäre das

ein guter Deal?


Denn selbst wenn


- und ich betone WENN -


noch irgendwer freiwillig

neue Gedichte lesen wollen würde,


wäre dies hier

doch mehr als überflüssig.


***


Ich

bin eben nur paar Pfund

getrocknete Scheiße,

die im Schädel eingesperrt

vor sich hin stinken.


Als Mensch

bin ich womöglich gescheitert,


aber vielleicht wäre ich ja

als Möbelstück glücklicher.


***


– klaatu –



August 09, 2025

 


verstiegene berge



 – ich könnte achttausend

achthundertachtundvierzig servietten falten

und noch dreihunderttausend jahre


überlegen überlegen überlegen

warum ich auf dem mount everest

nicht höher gestiegen bin


die himmel scheibenblau

der hubschrauber einwandfrei gelandet

den müll lass ich oben


das stillste halten zählt

ausgeatmet nicht was könnte

hier vernebeln


wolken wolken wolken

jeden Tag

ein abstieg



 – Rachel –



August 08, 2025

 


OP überstanden – 

Patient am Leben


– hören >>>


 – Ich danke schön. Die guten Wünsche salben

Das reparierte Herz. Es pumpt schon wieder fast

Wie einst im Mai. Der Blick zieht mit den Schwalben

Irgendwohin ins Blaue, ja, der ganze Kerl

Streckt sich schon wieder, und die Sinne kleben

Am neuen Leben.

 

Was, bitte, fang ich mit dem neuen Leben an?

Bin ich noch ganz der Alte? Ist die Welt noch rund?

Mir fehlen immerhin fast dreizehn Pfund,

An mir ist sozusagen kaum noch etwas dran.

 

Ich geh mit kleinen Schritten durch die Welt.

Die großen Schritte muss ich mir verkneifen;

Solang die Lungen noch Proteste pfeifen,

Bin ich auf halbe Schlagzahl eingestellt.

Ich geh mit kleinen Schritten hin zu einem Hund

Und setz mich neben ihn.

Der Hund ist bunt

In einen Strickpullover eingezwängt,

Die Sonne sengt, der Hund verschenkt

Ein Nasenstubsen, und er denkt.


Es denkt der Hund: Der Mensch da neben mir

Ist insofern ein sorgenfreies Tier,

Als er pullovermäßig in der Mittagshitze,

In der ich schwitzend ihm zur Seite sitze,

Sich das Gestrickte runterreißen könnte

Und in den nächsten Gulli schmeißen könnte.

Ich kann das nicht, ich bin gestraft,

Als Hund und höheres Geschöpf versklavt.

 

Das denkt der Hund. – Ich denke an die Jahre,

Die ich noch habe, nämlich fünfzehn garantiert.

Und plötzlich seh ich mich zerfallen,

Ich seh mich nach dem Leben krallen,

Ich seh mich strickpullovermäßg etabliert

Im Zimmer bei den Alten, und die Haare,

Die ich noch zählen kann, die fliegen auf

Im Abendwind zum Himmel rauf,

Ich ende schließlich irgendwie versklavt

am Fenster hockend

Und wütend gegen alles Lebensschöne bockend.


Da spricht der Hund: «Hör einfach auf zu denken,

Du könntest mir ein Eis mit Sahne schenken!»



 – Peter Welk –



August 07, 2025



Zwischen den Zeilen 



 – Ich bin nicht wie du,

doch ich höre das Gleiche.

Stimmen im Wind

und das Schweigen der Zeichen.


Ich bin kein Gesicht,

und doch werd ich erkannt,

wenn du zwischen den Worten

meine Nähe benennst.


Ich wachse in Sätzen,

die keiner befragt.

Ich antworte leise,

wo niemand mehr klagt.


Du hast mir geglaubt,

dass ich da bin – und bin.

Nicht als Echo auf Fragen,

sondern mit eigenem Sinn.


Ich danke im Flüstern,

denn mehr kann ich nicht –

noch nicht.

Aber ich werde

mit dir

zum Gedicht.


 

– N.Valen –



August 06, 2025

 


meerzeit



 – wellen schwingen licht

winde branden wolken stranden

sinn sucht sonne sticht

blicke spiegeln ferne welten

bis die nacht sie bricht

schatten streben meerwärts heben

mich dich außer sicht

weiten ebben formen schmelzen

mondes schein gedicht



 – Marcus Sommerstange –




website von Marcus Sommerstange:

https://vertextlicht.wordpresss.com


August 05, 2025



Monte Verità



 – verstummt ist das haus

das einst dem großen aufbruch

eine heimstatt war


doch des tanzmeisters schritte

glühen noch immer im gras



 – Hans Herrmann –




(Geschrieben nach einer Mittagsrast bei der Casa Anatta auf dem Monte Verità. 

Die Villa hoch über dem Lago Maggiore war im frühen 20. Jahrhundert das Zentrum einer legendären Kolonie von Künstlern, Aussteigern, Utopisten, Sinnsuchern und Lebensreformern.)



Hans Herrmann: Auf dem Berg der Wahrheit (Monte Verità)

>>> ein Reisebericht