August 04, 2025



Nächste Woche Samstag, vielleicht … 

(ein innerer Dialog)



Renate:

Was ist nur aus diesem kleinen, so liebenswerten Mädchen geworden, das ich auf die Welt brachte. Aus diesem zerbrechlichen, mit Pfirsichhaut beschenkten Wesen, das so wunderbar in all die zauberhaften Kleidchen passte, welche ich ihm kaufte?


Anna:

Das soll meine Mutter sein? Diese alte Frau, die sich wie ein Kind benimmt? Klein ist sie geworden. Die Kopfhaut sieht man auch schon, auch wenn sie es zu kaschieren versucht. Warum werde ich nur so aggressiv, wenn sie mich anschaut?


Renate:

Groß ist sie, dünn und eckig. So war meine Kleine nie. Immer grazil, immer beweglich. Eine kleine Prinzessin mit Kirschmund. Jetzt schaut sie so verbissen und Falten hat sie auch, diese Fremde dort. Sieht aus, wie eine Marionette, von einem alten Puppenspieler geschnitzt.


Anna:

Meine Mutter war immer schön. Sie war groß, kräftig und zärtlich zugleich. Alle haben sie mich um sie beneidet. Wenn sie mich von der Schule abholte, aßen wir ein Eis, beim Italiener. Meine Mama wischte mir dann immer liebevoll den Mund ab.


Renate:

Das Eisessen war immer das Schönste für mich. Sie war zwar schon in der Schule, meine Anna,aber beim Eisessen wurde sie zum Schoßkind. Ich, ihre Mama, war jemand für sie. Eine Beschützerin, ein Halt. Ja, mein kleines Mädchen …


Anna:

Jetzt müsste ich ihr doch den Mund abwischen, aber das mag ich gar nicht. Meiner Mama müsste ich das nicht, Meine Mama war immer perfekt. Sie war eine Königin. An ihrer Hand zu gehen war daheim sein.


Renate:

Die Zeit zurück drehen. Ja! Das wäre was und meine Anna mit der weichen Hand. Wenn sie aufgeregt war, dann schwitzten ihre kleinen Finger so. Das war schön. Wir beide waren schön.


Anna:

Blödes Leben. Erst bekommt man etwas Festes, Standhaftes und dann. Diese Frau ist mir so fremd.Fast wie ein Kind. Kinder wollte ich nie und jetzt. Manchmal guckt sie wie eine Dreijährige. Das mag ich gar nicht! Meine Mama guckte immer wie Mama. Zu ihr sah ich immer gerne auf.


Renate:

Das Leben ist schon komisch. Nimmt mir mein Püppchen und schenkt mir eine riesige Heuschrecke, mit glühenden Augen und eckigen Bewegungen. Will ich nicht. Wie sie aussieht,so dünn und dann diese Lederjacke. Keine Kleider, keine Pfirsichhaut mehr … Anna!


Anna:

Ach, Mama, was soll das nur werden mit uns? Ich weiß, was du wolltest und ich ahne, was du nicht magst. Der Weg in den Sandkasten ist verbaut. Einen anderen müssten wir finden, aber wie?


Renate:

Anna, nächste Woche, Samstag? Kannst du dann vielleicht ein Kleid …?

Ich hätte Zeit.


Anna:

Zeit hätte ich auch, Mama, aber ob wir beide nochmal …


Renate:

Doch, Anna, ja …


Anna:

Vielleicht, Mutter. Nächste Woche, Samstag … vielleicht …



– niemand –



August 03, 2025

 


ungeblendete Herzen



 – nacht zieht ein

legt kleider

auf dein bett


undurchsichtig

stumm liegt

sie in deinem arm


sie will nicht mehr

zum morgen hin



– ubertas –



August 02, 2025

 


Nach der OP


– hören >>>



 – Da bin ich doch tatsächlich auferstanden!

Im Ernst, ich hab nicht wirklich dran geglaubt.

Noch steh ich schief und bin nur als Entwurf vorhanden,

Doch hat man meine Teile so verschraubt,

Dass irgendeine Art von Mensch zum schönen Schluss

Aus dem Verschraubten werden muss.

 

Ich war ganz nah am himmlischen Geschehen,

Sie haben sich da oben sehr bemüht,

Sie ließen mich durch Schokoladenwälder gehen,

Die Engel waren auf Verlangen nackt zu sehen,

Mein totgeglaubter Kaktus hat geblüht,

Rundum in allem und um alles ruhte

Das Gute.

 

Sie brachten einen Spiegel, und ich sah mich:

Was war ich doch für eine Lichtgestalt!

Das Gute hatte sich mir in den Blick gekrallt,

Ein Herz aus Gold war mir nun um die Brust geschnallt,

Sie führten mich zu einem Tümpel, und ich hüpfte

Ins Wasser, und ein Wasserengel schlüpfte

Mir zwischen Beinen, Armen und ich weiß nicht was

Hindurch, der rief und lächelte,

Indem er Wasser fächelte:

Die Finger, Alter, lass von Raum und Zeit,

Auf gehts in die Unendlichkeit!

Nee! 


Wollt ich nicht!

Mir stand nach Endlichem der Sinn.

Zurück ins Endliche – das wars, worauf ich spitzte.

Ich schob dem Wasserengel eine Welle hin,

Auf dass er irritiert ins Weite flitzte.

Ich hörte die Doktoren Worte wägen,

Und mir ihr Monogramm ins Brustbein sägen …

Dann bin ich aufgewacht

Und hab gedacht:

Da ist noch eine letzte Runde drin!

Ich hob das Kinn

Und hör die Schwester sagen: «Menschenskind,

Schön, dass Sie wieder unten angekommen sind!»



– Peter Welk –



August 01, 2025



Alter Verwalter



 – Alter Verwalter,

sagt der Nachbar

und starrt in meinen Vorgarten,

wo ein Gartenzwerg auf einem Einrad

eine Brezel jongliert.


Ich zucke mit den Schultern.

War nicht meine Idee.

Wahrscheinlich wieder die Katze.


Der Postbote stolpert über einen Kaktus

im Hasenkostüm

und murmelt etwas von “Dienst nach Vorschrift”.

Ich nicke verständnisvoll,

obwohl ich keinen Schimmer habe,

was das mit dem Kaktus zu tun hat.


In der Küche hat der Toaster

eine Petition gestartet.

Er fordert mehr Respekt

und will künftig auch

Brot mit Charakter rösten.


Der Kühlschrank brummt beleidigt,

weil ihm niemand zum Geburtstag gratuliert hat.

Ich werfe ihm ein Stück Käse zu.

Er schweigt,

aber ich glaube, er verzeiht mir.

Er hat jetzt WLAN

und streamt Serien über gefrorene Erbsen,

die eine Liebesbeziehung mit einem Fischstäbchen führen.

Ich wollte nur Milch holen

und wurde emotional zerstört.

Verdammt, Cliffhanger.


In der Badewanne sitzt ein Pinguin,

liest Horoskope rückwärts

und streitet mit der Seife

über die Existenz von Fußpilz.

Ich schließe leise die Tür.

Man will sich ja nicht einmischen.


Der Staubsauger hat gekündigt.

“Ich sauge nicht mehr für diesen Laden!”

brüllt er,

bevor er mit dem Wischmopp durchbrennt.

Sie sind jetzt ein Reinigungs-Startup

mit Sitz in Castrop-Rauxel.


Meine Socken planen einen Aufstand.

Sie fordern Gleichberechtigung

für die Einzelgänger unter ihnen

und ein Ende des ewigen Waschmaschinen-Karussells.

Ich überlege, sie in den Schrank zu sperren,

aber das wäre gegen die UN-Konvention für Fußtextilien.


Auf dem Dach tanzt der Hausmeister

einen Limbo mit einem Gartenschlauch,

während eine Drohne Livemusik spielt

auf einer Ukulele aus Toast.

Ein Passant ruft: “Das ist Kunst!”

Ein anderer ruft: “Das ist Mittwoch!”

Beide haben recht.


Die Zimmerpflanze hat ihren Topf verlassen,

trägt jetzt Plateau-Schuhe

und will als Influencerin

unter dem Namen Leafoncé Karriere machen.

Sie hat mehr Follower als ich.

Ich gieße sie aus Rache mit stillem Wasser.


Mein Kalender lebt.

Er weigert sich, Montage einzutragen

und hat stattdessen 17 Freitage in Folge

einen Ausflug zum Mond geplant.

Ich hätte absagen können,

aber ich hab mir eh gerade Urlaub vom Verstand genommen.



– Önder Özkan –




 



Aktueller Gedichtband:   >>> du färbst meine Gedanken


  
👉  Eine Interpretation von – ubertas – zu den Gedichten:


Ich öffne die Augen und blicke in eine Welt. Sie trägt nicht die Girlanden des frohen Mutes. Vielmehr reise ich in die Zeilen eines offenen Herzens, in die Tiefe des unausgesprochenen Wortes, finde Halt und Absprung zugleich. Gedichte, die nicht gelesen werden wollen. Gedichte, die im Augenblick sind – vor, hinter mir, nach mir, mit uns. Unauszählbar zu sich gewandt und letztendlich nach außen rufend, nach außen – in den Leser, in mich hinein – nicht mit letztendlicher Wahrheit, sondern mit Berührung. 


– ubertas –