November 18, 2025



(Fotografie um 1920)


Zielen Sie!



 – Erst zielen Sie betrachtend mal auf Mitte
Und blenden ganz die Außenlandschaft weg –
Was sehn Sie? – Konzetrieren Sie sich, bitte!
Sie sehen, na? Ein hingewölbtes Eck,

Wie es der Künstler gern in Marmor haut.
Wie es in Parks den Mittagsschlendrer schreckt.
Wie man es gern zu Brunnenschmuck verbaut.
Wie es im Kenner das Erschauern weckt.

Jetzt zielen Sie betrachtend mal auf mich,
Auf mich als Ganzes, wenn Sies noch vermögen:
Sie sehen, na? Sie sähen mehr, wenn sich
Die Bilder, die Sie sehn, zusammenzögen

Zu einem Wunschtraumbilderbuchgeblätter,
Das wär dann ich. Ganz Wölbung. Nicht nur Eck.
Sie sehn das nicht? Dann haben Sie halt Bretter …
Am besten blenden Sie die ganze Landschaft weg.



 – Joe Fliederstein –



November 17, 2025



Neglegere



Das Wort ist tot.

Viele hören sein Echo,

manche spüren ihm nach –

und fühlen nichts.


Das Wort ist tot.

Wer wollte es

in hallenden Gewölben,

in Schweigen bewahren.


Das Wort ist tot.

Des Wortes Wort,

vom Gerede getragen –

niemand spricht.



– Rufus –



November 16, 2025



alles bleibt kurz



ich wach auf und denk,

vielleicht ist das hier gar kein morgen.

die sonne hängt wie ein ladebalken

über den häusern,

alles wartet auf ein update,

auch die vögel,

auch ich. beim frühstück

sagt brudi: man müsse sich entscheiden,

aber wofür,

wenn jede richtung

bloß eine andere form von warten ist.

danach seh ich menschen im supermarkt

mit gesenkten köpfen,

verwelkt wie sonneblumen vor den kühlregalen,

die den fettrand ihrer sehnsucht mustern.

an der kasse lacht die kassiererin,

du lellek,

so hell,

dass für einen moment

alles ruckelt.

ich denk:

vielleicht war das glück,

oder bloß ein fehler in der wiedergabe.



– seefeldmaren –



November 15, 2025



Flüchtige Begegnung



 – Ein Hecht schwamm eilig in der Elbe.

Ein Karpfen tat genau dasselbe,

nur schwamm er jenem Hecht entgegen.

Es fiel ein sanfter Sommerregen.


Bald trafen ihre nassen Wege

bei Pirna sich am Uferstege.

Der Fluss war kühl, der Fluss war breit

und beide hatten wenig Zeit -


genügend, um mit starren Blicken

sich unverbindlich zuzunicken.

Dann trug des Flusses Wellenspiel

sie weiter, jeden an sein Ziel.


Von Weiterem berichtet nicht

dies schnell gereimte Fischgedicht.

Hier folgt auch schon in aller Eile

pointenlos die letzte Zeile.



– Cornelius –



November 14, 2025



aire



– ich ging nicht leise

wuchs aus den wänden

zwischen fuge und wort

wie gras aus stein

ließ den wind

mich tragen


am offenen fenster

auch wenn er zerrte



war längst nur spur

die sich selbst verwischte

du wolltest mich leise

ein sturm im glas


deine hand

so rau



du sprachst vom bleiben

eine tulpe im herbst

ich lauschte dem wind

als wäre das gehen

mein gebet


und du

ein echo im morgen



– Mimi –



November 13, 2025



Dem Herbstmädchen



 – In mir sind immer noch die Zaubertage

Die Tage als wir zeitlos um uns schwebten 

Es waren Tage wo wir uns erlebten 

Ein kleines Märchen Zeit der zarten Sage


Im dunklen Herbst kroch Kälte durch die Steine

Bei Tee und Keks im schönen Kerzenlichte

Liebmutig las ich Dir ins Ohr Gedichte

Aus Aron Manfelds Werk und auch von Heine


Das Küssen schmeckte süß nach Schokotrauben

Die Augen glänzten hell noch ohne Tränen 

Ein Leben lang mit Dir so war mein Glauben


Zum Winter lief ich fort im kalten Morgen 

Zur Freiheit und dem Abenteuersehnen 

Zurück zur Einsamkeit und ihren Sorgen



– Aron Mansfeld –



November 12, 2025



Kastanien



  – sobald der große Maler
durch die Parkanlagen zog
fielen sie
noch heimlicher als Neuschnee über Nacht
in unser Reich ein: als zerstreutes Heer
rundbäuchiger Wichtel, die alle Wege belagerten

nur wenige drangen
bis in die Festungen der Neuzeit vor
o weh! in jämmerlichem Zustand
ohne Panzer, der an Morgenstern erinnerte
wir halfen ihnen wieder auf die Beine
und polierten Helm und Harnisch bis sie glänzten wie
unsere Stiefel am Nikolaustag

so bewachten sie noch wochenlang
Regal und Fensterbrett

wir aber, selbst edle Ritter, dachten stets zuerst
an Reh und Kitz im Winter
war doch ein voller Sack so kostbar fast
wie eine Ladung Seide und ergab durchaus
drei Tafeln Schokolade



– Dirk Tilsner –



November 11, 2025



Empfindlich



Keiner trägt auf Bora Bora

Badewäsche aus Angora,

außer Tante Theodora –

von Geburt an thermophil.

 

Und so kriegt sich am Atolle

ihr Gemahl, der Onkel Bolle,

mit der Gattin in die Wolle

über Bademodenstil.



– Stefan Pölt –





Unmut der Baumfrauen



 – Die Köpfe schon fast licht

stehn alle dicht an dicht

als ob da etwas

zu besprechen wäre


Vielleicht ein Pläuschchen

über Wald-Frisöre

und deren fragwürdige Zunft?


Entgegen der Vernunft

ließ man sich gestern Strähnchen färben

von einem derben Lümmel


Heut hört vom hohen Himmel

man Vögel lästern:

Vorbei ihr Waldes-Schwestern

ist wohl das Träumen


Die Haarpracht schwindet

je mehr es windet –

bald ist sie hin


Macht wenig Sinn

sich aufzubäumen!



– niemand –