Dezember 02, 2025



kornblumenweg



es zog mich

in die stunde 

deines sternenkranzes

du nahmst mich

aus den reihen

wie hände

sich aus staub

ein windstrich

ließ dich liegen

er brach

dein blaues leuchten

wie mich

in deinen grund 



– ubertas –




 

 

Bei diesen wunderbaren Zeilen von dir, liebe ubertas …

 … Andernorts hatte ich ja eine Infragestellung bestimmter Formen von Gedichtinterpretation formuliert, nämlich solcher Interpretationen, welche eine Gedichtrede in «Klarsprech» übersetzen und damit alles das über Bord gehen lassen, was für mich ein Gedicht typischerweise (mit regelbestätigenden Ausnahmen!) zum Gedicht macht.

Diese meine Skepsis gegenüber bestimmten Formen von Interpretationen im Dienste der De-Poetisierung bedeutet aber keineswegs, dass ich nicht auch mit einem verstehenwollenden Anspruch an ein Gedicht herantrete, er wird eben nur durch einen emotionalen Ansatz ergänzt und am Ende steht je nachdem entweder ein: «Ich fühle es, weil ich es verstehe» oder ein: «Ich fühl es, das genügt» oder auch ein «Ich fühle es, weil (sic!) ich es nicht verstehe».
 
… bei diesen wunderbaren Zeilen von dir, liebe ubertas, wohne ich irgendwo zwischen all diesen drei Ansätzen und das ist mir beim Gedichtelesen der liebste Zustand …
 
… zunächst einmal, dass hier ein lyrisches Ich eine gefährdete Glückserfahrung in der Begegnung mit einem lyrischen Du schildert. Das lyrische Ich ist die Singstimme des Gedichts, das lyrische Du ist eine Kornblume und die (nicht ganz eindeutig wirksame) Bedrohung geht vom «Windstrich» aus. Dieser Windstrich – und hier verlasse ich die Ebene des «unpoetischen Redens und Fühlens» – scheint mir eine Art luftiger Landstrich zu sein und im Gegensatz zum geläufigen und auf festem Boden ruhenden Landstrich ist diesem luftgeisthaften Windstrich eine gewisse Geschäftigkeit zu eigen, die dem ortsfesten Landstrich, zumindest außerhalb eines Gedichts, fremd bleibt. Ob die Wirkungen des Windstrichs nun eher dem Schönen oder dem Destruktiven verpflichtet sind, bleibt ein bisschen offen, woraus ich schließe, dass hier ein bisschen was von beidem «im Spiel» ist.
Zuletzt, komme ich bei der Aufhebung jeder Versteh-Haltung an und genieße die Vorstellung, dass in diesem Gedicht eine kleine Kornblume einen glücksempfänglichen Menschen aus dem grauen Leutestrom gebrochen hat (mit tätiger Windhilfe) und die zwei hübschen, Blume und Mensch, nun Einträchtigkeit üben. Es müsste doch unbedingt einen Kornblumenkavalier geben, der könnte sich dann von seinem großen Geschwister eine Zeile ausborgen: «Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, dass wir zwei beieinander sein.»

 – sufnus –

Dezember 01, 2025




– w – wie welt



 – wir wissen wenig was werden wird

wenn wir wirkungslos

weiterwursteln


wie weit werden wir wohl wandern  

wenn wasser weniger 

wird


wissenschaftler warnen wo wälder 

welken werden wüsten

wachsen

 

werwölfe wagen weite wege wittern

westwärts wehrlose

wesen


welche welt wollen wir weitergeben 

wenn wir widerstandslos 

weichen




wirrer wintertagstraum woanders

wach werden wäre 

wunderbar



 – TassoTuwas –



November 30, 2025



Weltformel



 - Auf Nullniveau mit Schwundgebärde

zur Niederkunft - das Einmaleins

der Goetheklasse: Stirb & werde!

Wer jetzt noch «Herz» ruft, der hat keins


und macht sich selber ungeschehen

in Fluchtdistanz zum großen Staunen,

wenn Niemandsnamen uns verwehen

beim Zeitvertreiben (Ablaufraunen).


Und Totstelltricks? Bloß faule Zauber

aus Sinn und Form und Material;

der Letzte wischt den Tatort sauber:

Das läuft schon, Leute! Präfinal


blickt ratlos zwischen Schrei und Schreibe

kein Schwein mehr durch. Die nackten Zahlen

zerformeln sich: Die Welt als Scheibe

mit schlimmer Neigung zum Realen.



- sufnus –



Eine Interpretation des Gedichts von – ubertas –

Vom Titel «Weltformel», dem die Sehnsucht des Strebens, eine gültige Formel zu finden, die Alles in sich vereinend beschreibt, wage ich mich in eine nähere Betrachtung:


Auf Nullniveau mit «Schwundgebärde» sehe ich das Bild eines frei gewählten Ausgangspunkts gesetzt, der in einem Gefüge aus Himmel und Erde beliebig wählbar ist. Somit wird dieser Ausgangspunkt, das Nullniveau, gleichzeitig auch zu einer selbst bestimmten Basis, von der ich den Eindruck habe, sie würde die Welt regeln, ihr Energie zuschreiben, nach meiner Festsetzung, dadurch auch «funktionieren». Dagegen winkt förmlich die «Schwundgebärde», die aufzeigt, dass sich diese Ansichten womöglich bereits in Auflösung befinden und sei es die eigene Wahrnehmung oder auch unser selbst geschaffenes Weltbild schwinden lässt. «zur Niederkunft», ob verstanden als den Weg zur Geburt eines gewandelten, höheren Ichs oder in Anlehnung an das Herabsinken aus unseren oben für uns selbst ausgemachten Fixpunkten, erscheint in der dritten Verszeile «Stirb & werde!» wie ein stilles Ausrufen, in diesem irdischen und überirdischen Zerfallsprozess noch Bestand haben zu wollen, durch Wandel und Erkenntnis. Was wie ein Einmaleins erscheint, wird wie in «Seliger Sehnsucht» beschrieben, zu einer der schwierigsten Aufgaben, zur Wahrheit zu gelangen oder weiter in dunkler Erde ummantelt zu liegen. Ich denke dabei an das Bild des verbrannten Schmetterlings. Erst wenn es gelingt, diese «Aufgabe» zu erreichen, erreicht auch das «Herz» eine Loslösung. 


In der zweiten Strophe finden sich verschiedene «Methoden», die wohl am ehesten das menschliche Versuchen beschreiben. «und macht sich selber ungeschehen in Fluchtdistanz zum großen Staunen». Der Mensch macht sich ungeschehen, er entzieht sich, verharrt mit sicherem Abstand zum großen «Staunen» hin, will es begreifen, kann es aber nicht. Zur gleichen Zeit wird ihm bewusst, dass er endlich ist und «Niemandsnamen» uns verwehen können, während wir uns die Zeit damit vertreiben, dem Ablauf einer Bewusstwerdung nachzuflüstern. Es weht der Wind der Vergänglichkeit um ihn.


Die Frage «Und Totstelltricks?», die Freunde und Feinde des sich schützen wollenden, aber blinden Geistes, sie werden entlarvt in der dritten Strophe. «Bloß fauler Zauber aus Sinn und Form und Material»; diese Formulierungen deuten an, dass die «Weltformel» wohl nicht in den gegebenen Statuten zu finden ist, sich dieser von uns festgelegten Ordnung sogar zu entledigen scheint. Nach seiner Suche widmet sich der Mensch wieder dem, was er erkennen kann und gibt sich ebenso geschlagen. «der letzte wischt den Tatort sauber: Das läuft schon, Leute!» Er gibt die Verantwortung für sich selbst ab. Präfinal als Vorbote seiner sich entschuldigen wollenden Vergänglichkeit. 


Was bleibt ihm letztlich? «blickt ratlos zwischen Schrei und Schreibe kein Schwein mehr durch»: Sein Bemühen zwischen dem Rufen, Ausschreien, seiner nach Hilfe schreienden Fragen und dem, was er sich dazu niederschreiben will, dazwischen bleibt nur das «und». Da kein Schwein mehr durchblickt, macht es nur Sinn für ihn, dass sich auch die Fakten «zerformeln», sie brechen auseinander, die «Zahlen» lösen nicht sein Rätsel. Die als Scheibe wahrgenommene Welt zerspringt zwar nicht, aber sie neigt sich hin zum «Realen». «Mit schlimmer Neigung» nimmt sie sich die Substanz.

– ubertas –



November 29, 2025



Mein Kälbchen



 – Lieb stöckelst du vom Bohlenbrett gebunden

Hinab zur Hölle die dein Fleisch begehrt

Das was du bist im Tode nur verehrt

Verkehrt hängst du schon bald in ein paar Stunden


In Reih und Glied gleich zwischen deinen Alten

Die eben noch Familie Heimat sind

Frau Kuh Herr Stier und du das Rinderkind

Am Haken Kälbchen werdet Ihr erkalten


Sei froh du Vieh dass Gott dich dämlich schuf

Nachdem er sich beim Menschen schwer vertan

Der sich am liebsten selber fressen tät 


Du muhst das Schwätzen wäre mein Beruf 

Ganz Recht hast du ich schwätz von Pietät 

Zerkaue dich dabei wie Marzipan



– Aron Manfeld –



November 28, 2025



Winter 



– Ein Flugzeug fliegt in Seitenlage 
Es hält die Position nur vage
An Bord befindet sich der König 
Der Rauschgiftgang von halb Venedig 

Es feiern Dealer, Hintermänner 
Auch der Pilot schnupft wie ein Kenner 
Fühlt sich beschwingt und vogelfrei 
Und greift am Steuerknauf vorbei 

Nun wird der Flug sehr unbequem 
Doch sich beschweren? Und bei wem? 
Und dann am Berg, die Havarie 
So viel an Schnee gab‘s da noch nie 



– Volker Teodorczyk –


November 27, 2025



paralyse



in dir legt sich dunkel auf das

an halt ende ein aus

und wieder die suche nach der frage


ja. atme. immer noch!


findest sie nicht

hast mit ihr gerungen, zu lange

glaubtest sie besiegt, endgültig


doch dieser schatten

ein ... blick ... fällst hinab in ihre asche

und diese trübe

aus ... halten ... driftest durch ihren vampiratem

und dieses echo

ein ... brechen ... verdorrst in ihrem sirenengesang

und dieses erinnern

aus ... weg ... fühlst ihr keusches gewicht


immer noch. ja. atme!


ein ... sie war sie ist sie bleibt

aus ... vermächtnis jedes tages

ein ... geißel jeder emotion

aus ... provokation jeder nacht

ein ... tränen jedes kusses

aus ... das wimmern vor dem augenaufschlag

ein ... die unendliche leere in deiner brust

aus ...


die frage? vielleicht gibt es sie wirklich nicht mehr

nur die zeit. so verdammt viel zeit


atme. immer noch. ja!



– Marcus Sommerstange –



November 26, 2025

 


Das Jahr neigt sich 

dem Ende zu



 – Das Jahr neigt sich dem Ende zu,

die Felder legen sich zur Ruh

von Flocken sanft bedecket,


da hast wohl, frecher Winter, Du

gar hurtig Schnee und Frost im Nu

aus tiefem Schlaf erwecket.


Die Nacht erstarrt in kaltem Blau,

die Feldmaus träumt in ihrem Bau

von Bucheckern mit Schleifen,


und ich bin kurz vor Gaggenau

der Grund für einen Megastau

mit meinen Sommerreifen.



 – Rudolf Anton Fichtl –