Oktober 19, 2025



Am Sprichwort gescheitert



 – Mein Nachbar hing zum vierten Mal.

Ich sah sein Ende kommen.

Doch diesmal hab ich ihn am Schal

zu spät vom Ast genommen.


Er dachte sich, wild aufgeknüpft

an meiner schönen Linde,

dass er wie stets dem Tod entschlüpft,

wenn ich ihn röchelnd finde.


Und dass ich wieder durch die Tat

erschreckt auf einmal gerne

den Löwenzahn am Maschendraht

vor seinem Beet entferne.


Doch leider war ich nicht so frei,

das Sprichwort zu umgehen.

Auch guter Taten sind nur drei.

Die waren schon geschehen …



– Gummibaum –



Oktober 18, 2025



Lösche das Feuer
mit einem Schuss Chardonay



/\
/-\
/----\
/---------\
/--------------\
/------------------\
/---------------------\
/------------------------\
/----------Das Holz--------\
/--------in diesem Haus-------\
/---------atmet nicht nur----------\
/------------------------------------------------------\
|------------------es hustet, lebt und zahlt Steuern.----------------------|
|----------------------------------------------------------------------------------------|
|--In seinen Mauern führen die Mäuse grausige Musicals auf---|
|----------------------------------------------------------------------------------------|
|--------------und unten im Keller steppt die Depression-------------|
|------------------------wie Fred Astaire auf Ketamin.----------------------|
|-----------------------------------------------------------------------------------------|
|----------Tote Weihnachtsmänner verstopfen den Kamin,----------|
|---während auf dem Dach die Resthoffnung damit kokettiert,--|
|-einen doppelten Rittberger von der Regenrinne zu vollführen.|
|------------------------------------------------------------------------------------------|
|--------------Aus den Fenstern zwischen den Zimmern----------------|
|------------------------zischen vereinzelt Flammen--------------------------|
|------------------------------------------------------------------------------------------|
|--------------------------ich stehe pfeifend am Brandherd----------------|
|-----------------------und mache uns Bratkartoffeln.----------------------|
____________________________________________________________________
____________________________________________________________________



– klaatu –


Oktober 17, 2025



unschärfe



 – das kratzen an holz

am nächsten morgen

neue spuren sprenkel

von rot da und dort

noch eine kerbe


im spiegel halb blind

wieder das huschen doch

ein docht genügt nicht

für das tiefe schwarz

der ecken


und in den ohren

welch ein brausen

es weht heran gischtet

im kopf zerschellen

die gedanken


nichts wird gestalt

alles verfließt zu

schwarz vor schwarzem

grund und dann

das greifen


wie von klammen

fingern



– claudia neubacher –



Oktober 16, 2025



Geierstunde



 – Es sitzen ein paar Geier

und warten auf ein Aas -

manch einer tut als sei er

was ganz Besondres! Was?


Der Hunger aufs Zerreißen,

der steigert sich enorm -

hat einer nix zum Beißen,

kommt leicht er aus der Form.


Man braucht was auf die Gabel,

ein „Nicht vorhanden“ nervt.

Zuweilen wird ein Schnabel,

schon hier und da geschärft.


Und dann geschieht ein Wunder,

ein Aas fällt rasch hinein.

Die Freud kommt auf, profunder

könnt eine Freud kaum sein.


Man reißt das Aas in Stücke -

ein jeder Geier hofft,

dass ihm der Groß-Biss glücke,

wenn nicht, wird drum gezofft.


Bald ist das Aas verschwunden,

in Bäuchen, kugelrund,

doch schon, nach ein paar Stunden,

hofft man aufs Neue …


Und ...



– niemand –



Oktober 15, 2025



Kleines Latinum



 In dubio pro reo – sagten

die Richter im antiken Rom:

Im Zweifel für den Angeklagten,

war gutes Recht am Tiberstrom.


Pecunia non olet – lehrte

schon Vespasian: Die Münze blinkt,

die der Latrinenzoll bescherte,

du siehst, mein Sohn, dass Geld nicht stinkt.


So manchem macht als lahme Ente

der Wahlspruch des Augustus Mut,

er denkt getrost: Festina lente -

der Eile tut die Weile gut.


Wer, gegen seinen Strich gebürstet

und von des Alltags Mühen matt,

nach Panem et circenses – dürstet,

den machen Brot und Spiele satt.


Die Einsicht reift oft spät: Errare

humanum est – wer dies vergisst,

bemerkt vielleicht am Traualtare,

dass Irren allzu menschlich ist ...



 – Cornelius –



Oktober 14, 2025



Reimerei



 – Du traust dich, Herz auf Schmerz zu reimen?

Das ist schon lange obsolet.

Wer wagt, die beiden zu verleimen,

weiß nicht, woher der Wind jetzt weht.


Wenn du in klammen Nebelnächten

Gespenster vor dem Fenster siehst,

die sich ins Lied zu schleichen dächten,

sieh zu, dass du vor ihnen fliehst.


Du blickst hinauf zu fernen Sternen?

Ihr Schimmer, einst so rein, erlosch.

Was kannst du, Dichter, daraus lernen?

Such neue Reime! Sei kein Frosch!


Am besten schreibst du nur noch Prosa,

vermeidest so das Reimproblem

und summst dazu das Lacrymosa –

ganz sacht – aus Mozarts Requiem …



 – Cornelius –

Oktober 13, 2025



Requiem für einen Bleistift



 – Ein Heer von flüchtigen Gedanken

hast du, mein treuer Freund, besiegt

und dich in meiner Hand dem blanken

Papier stets dienend angeschmiegt.


Du hast dich für mich abgerieben,

ein Knecht der auferlegten Pflicht,

und klaglos alles aufgeschrieben,

ob Einkaufsliste, ob Gedicht.


Ich konnte das Verhängnis wittern,

der Donner folgt ja stets dem Blitz:

Ein kühner Schnörkel ließ dich splittern.

Kein Werkzeug macht dich wieder spitz.


Ein Seufzer schwebt auf meinen Lippen.

Bald heilt die Zeit auch dieses Weh.

Nun muss ich deinen Nachruf tippen.

Wo ist der Startknopf am PC?



Cornelius