Juni 20, 2025

 


Dauerbrenner



 – du warst einmal hier

zwischen rabenfedern

eisblumen

sahst durch fensterscheiben

vogelschwärme dem winter nahen

vorher


du warst einmal hier

zwischen gänseblumenkränzen

kornblumen

sahst auf oberlichtern

schmetterlinge dem sommer zutanzen

hinterher


du bist einmal hier

inmitten des guten

des schlechten

siehst mit deinen augen

jetzt so schön

aus


– ubertas –



Juni 19, 2025



Erdbestattung 

oder Krematorium?



Bald kommt mein letzter Tag auf Erden,

Da treiben mich doch Fragen um:

Soll's eine Erdbestattung werden?

Will ich ins Krematorium?


So Flammen sind mir nicht geheuer!

Klar bin ich tot, ich weiß, ich weiß …

Trotzdem: Ich möchte nicht ins Feuer,

Das ist mir einfach viel zu heiß!


Zudem: Weil ich mich schlecht ernähre,

Bin ich wahrscheinlich voll Chemie!

Die flöge in die Atmosphäre,

Das wäre ziemlich schlecht für die.


Ich weiß, was ich viel lieber hätte:

Ich wünsche mir ein Erdengrab.

'Ne schlichte Friedhofsruhestätte,

Wo ich dann ewig Ruhe hab'.


Nur nachts um 12, zur Geisterstunde,

Wenn schauerlich das Käuzchen ruft,

Dreh' ich vielleicht 'ne kleine Runde

Mit andern aus der Nachbargruft. 



 – Fritz Pfeiffer –



Juni 18, 2025



 Lieder der Kreuzung



 – Hinter der Kreuzung

Wo Schwestern Lieder schreiben

Beim verlassenen Heim

Wo Kinder unter Betten warten


Die Zeit der Paläste vorüber

Alles zerbrach

Damit Neues entsteht

Wo Mütter Lieder suchen


Verloren gingen Geschichten

In eisblauen Nächten

Als Väter Herzen brachen

Im Wahnsinn


Manche starben

Andere blieben hier

Um an leeren Gleisen nach

Vergessenen Liedern zu suchen


Während dunkel die Züge ruhen

Wo Tote mit Sternen jonglieren

Um zu Liedern zu werden

Lieder der Kreuzung



– Max Neumann –



Juni 17, 2025



( Grafik © Petrus3743 Wikipedia )


Der Satz des T


Ein Kreis umschlang mit ganzer Weite

ein Dreieck an der längsten Seite,

und die noch freie Ecke spürte,

sobald auch sie den Kreis berührte,


wo immer sie dies zärtlich tat,

im Schenkelzwickel neunzig Grad.

Da stutzte Thales von Milet

und rief: «Jetzt weiß ich, wie es geht!»



– gummibaum –



 


Der Zweifelsfall



 – Ein Fluss, der durchs Gebirge drängt,

wird von zwei Felsen eingezwängt.

Die grauen Wände, steil und schroff,

sind Anlass für Gelehrtenzoff,


denn längsseits beider Schluchtenränder

verläuft die Grenze zweier Länder.

Die Frage, die man klären muss:

Zu welchem Land gehört der Fluss?


Sie lässt so manchen Geografen

in seinem Bett nicht friedlich schlafen.

Ein Rätsel, würdig einer Sphinx:

Ein Felsen rechts, ein Felsen links,


der wilde Wasserschwall dazwischen.

Wer darf mit welchem Pass hier fischen?

Noch fand sich kein erhellter Geist,

der hier den Weg zur Lösung weist.


Der Katarakt mit Donnerschall

bleibt weiterhin ein Zwei-Fels-Fall ...



 – Cornelius –



Juni 16, 2025



utopisch irgendwie 



   alter freund

     sagst du zu deinem mann

der still an deinem bett sitzt

und wer hält wessen hand


im raum sind all die tage

all die umwege eures lebens


von denen ich nur wenig weiß

kenn ich doch nur die falten

schon immer wart ihr alt für mich


und du sagst alter freund

wie zärtlich kann ein abschied sein



– charlotte van der mele –



Juni 15, 2025

 


S-Lyrik



I.


Der Juni ist präzise

er führt das Sommerbuch

mit Akribie


Mein letzter Eintrag handelte von kühlen Nächten

und ich gestehe meine Schönschrift war dabei

etwas nachlässig und wie ich fürchte

metrisch ungenau


Im Stillen träume ich vom Tau



II.


Komm kleiner Fuchs

bring mich nach Haus

den Wolken ging der Regen aus


Und schlägt der Wind

dem Leichtsinn noch

das Wetter um

dann find ich uns ein Nesselblatt


Ich warte am Aglaiahang

komm kleiner Fuchs

wir wollen heim



III.


Ab hier fehlt der Gesang

der Grazien steht im Hesiod

der Sommer ist bekanntlich stumm


Ich hab mir sagen lassen dass

im Baggersee seit Jahren

niemand mehr ertrunken ist



IV.


Jetzt heißt es warten

die Welt ist rund

ich hasse Rilke

ab morgen wird

der Wetterdienst sich äußern



 – sufnus –