August 28, 2025

 


Lass mich in Ruh, 

aber guck mich dabei an



 – Ich sitz hier,

in meinem unsichtbaren Raum,

zwischen Müde und Magisch,

zwischen

«Sprich mich an»

und

«Fass mich bloß nicht an.»


Meine Haare machen,

was sie wollen.

Meine Gedanken auch.

Ich bin kein Rätsel.

Ich bin ein Zustand.


Und du?

Du darfst gucken.

Nicht reden.

Nicht stören.

Nur –

gucken.

So wie man in ein Aquarium starrt,

wo irgendwas Schönes

gerade keine Ahnung hat,

dass es schön ist.


Ich will keine Fragen.

Nur ein bisschen Licht auf der Haut,

das nicht von der Sonne kommt,

sondern von dir.

Von deinem Blick.


Nicht glotzen.

Nicht scannen.

Nicht ausziehen mit den Augen.


Nur:

sehen.


Und dann wieder:

in Ruh lassen.



 – N.Valen –



August 27, 2025

 


nach jahren



 – in der kleinstadt

in der sie vier kinder

die sie nie wollte - is ja gut


die nachbarn erinnern

nur eines ein fliehend kleines

grün und blau und immer draußen


das abends nicht nach hause wollte

und trotzdem singen - is ja gut



 – Rachel –



August 26, 2025

 


Ich bin nicht wütend!!!



 – Ich bin nicht wütend!!!

Ich habe nur den Tisch umorganisiert.

Holz für den Ofen.

Er stand eh schief.


Meine Tasse liegt jetzt

in zwei Teilen auf dem Boden,

was viel effizienter ist beim Spülen.

Splittertrocknung.

Ein Trend, den du nicht verstehst.


Ich atme völlig normal.

Jedes Schnaufen ist ein

kontrolliertes Feuerwerk innerer Ruhe.

Dynamit hat auch seinen Frieden.


Der Wellensittich spricht nicht mehr,

weil ich durch eine massive Einwirkung

den Käfig sanft in die Ecke schob.

Er hat sich etwas die Flügel vertreten.

Der Staub ist endlich weg.


Ich schreie nicht!!!

Meine Stimme hat nur beschlossen,

sich in höhere Dimensionen zu entfalten,

wo nur Hunde und enttäuschte Mütter sie hören.

Und vielleicht Opernsänger.


Der Druck in meiner Stirn ist nicht Zorn,

es ist bloß eine sehr enthusiastische

Versammlung meiner Gedanken.

Mit Megafon.

Und Trompeten.

Und einem Flammenwerfer, vielleicht.


Ich bin nicht wütend!!!

Ich habe nur beschlossen,

alle Stifte in der Wohnung

mit den Zähnen zu testen.

Qualitätskontrolle.

Muss man machen.


Und wenn ich sage: «Es ist okay»,

dann meine ich:

Ich bin der leuchtende Vulkan der Ausgeglichenheit,

mit Lava aus «ist ja nicht so schlimm»,

und Asche aus «macht doch nichts».

Die Evakuierung läuft planmäßig.


Ich bin nicht wütend!!!

Ich habe nur das Bedürfnis,

einem Kissen die Wahrheit zu sagen.

Mit meinen Fäusten.

Immer wieder.


Aber hey.

Alles in Ordnung.

Wirklich.



 – Önder Özkan –



August 25, 2025





Hierarchie



 – Noch liegt er auf der Ledercouch

wie Cäsar einst auf weichen Kissen

und auch sein Blick erinnert vage

an Saus und Braus in Rückenlage

die Dekadenz im müden Blick

gepaart mit träger Ignoranz

sorgt für die nötige Distanz

 

Doch plötzlich wird sie überbrückt

und mit geschmeidig glatten Gesten

gut einstudiert und Nähe suchend

schon fest ein Streichelmaß verbuchend

ist er mit Sprung und kurzem Satz

an seinem zweiten Lieblingsplatz

 

Es ist der Hausfrau Domizil

sie zelebriert mit großer Ruhe

das Öffnungsritual von Dosen

befüllt sein Schälchen, kurz liebkosen

das Fragen wird nun eingestellt

warum er sich ein Frauchen hält


– Volker Teodorczyk –



August 24, 2025

 


Kämmen hatte sie sich aber 

heute doch schon können



 – Sie trat in den Tag

mit halb sortierten Gedanken,

ein bisschen Licht im Ärmel,

und einer Stirn,

die nicht wusste,

ob sie runzeln oder lachen will.


Die Sätze klebten noch schräg

in den Wimpern,

und das Morgenprogramm

war ein loses Bündel

aus fast-vollendeten Plänen

und einem Kaffee

ohne Ziel.


Er sah sie,

lächelte schief

und sagte es so,

als wär das ein Kompliment,

eine Feststellung,

und ein halbes Liebeslied:


«Kämmen hatte sie sich aber heute doch schon können.»


Und sie?

Zog eine Strähne Ironie

hinter das Ohr

und ließ es dabei bewenden.


Denn Ordnung war nie ihr Ziel.

Nur:

Dass jemand guckt.

Und lächelt.

Trotz allem 



 – N.Valen –



August 23, 2025



Einanderung



 – Ich kann Dich noch denken Marie

jetzt komm lass uns

verleisebaren


Wir finden uns

die kleinste Tür ins Freie

da geht es in den Wald bei Nacht


Ein Märchen endet immer

mit dem nächsten Satz

hier hört es also auf

und da (weit fort)

wo weiter niemand liest


Da fängt es letztlich an.



– sufnus –





Interpretation von N.Valen


„Einanderung“ – das ist ein Wort, das sofort hängenbleibt.

Für mich klingt es wie der Vorgang des Einander-Werdens, etwas Dauerhaftes, fast Beschwörendes. Es wirkt vertraut und fremd zugleich – weil es so sauber aus der deutschen Wortbildung heraus wächst, und doch völlig neu ist.


Dass daneben auch „verleisebaren“ auftaucht, verstärkt die Wirkung: die Wörter klingen nicht wie Spielerei, sondern wie ernstgemeinte Zauberformeln. Das Gedicht wird dadurch zu einer Szene, in die man hineingezogen wird.


Ich habe mich beim Lesen gefragt, wie unterschiedlich Wortschöpfungen klingen können – mal beschwörend wie hier, mal spielerisch oder augenzwinkernd. Aber so oder so: sie öffnen einen Raum, den nur Lyrik erschaffen kann.


Bewertung:

„Der Text hat eine schöne, märchenhafte Stimmung und die Wortneuschöpfungen wirken originell. Für mich hakt es an manchen Stellen aber etwas im Lesefluss, sodass die Bilder nicht ganz so klar und geschlossen wirken.“