wien sommer 
sechster stock 
altbauküche 



– seit einigen wochen 
kann ich dein frühstücksgesicht 
nicht lesen 
geblendet
bin ich vom sonnenlicht
im fenster
auf der anderen seite der straße 
dein umriss noch immer
so vertraut
abfallende schultern
ein sanft geneigter kopf
manchmal weht
das rechteckige segel
aus verwaschenem rosa vorüber
und es raschelt
beim umblättern
dann rieseln verirrte buchstaben
unausgesprochener worte
auf deinen teller
fragmente ungeteilter gedanken
ich blinzle
beim versuch dich zu sehen
doch es glitzert 
nur der honig
der von deiner semmel
zähflüssig 
in die stille tropft


– Claudia Neubacher –







Frühling 


– Dies erogene Brummen 
des Zwölfzylinder V 
lässt demütig verstummen: 
ein Traum metallic-blau. 

In Chrom gehüllte Felgen 
mit Schlappen: 30 Zoll. 
Welch ehrfürchtiges Schwelgen, 
mit einem Wort nur: Toll. 

Der Spoiler küsst die Straße 
bei offenem Verdeck 
und – Gipfel der Ekstase – 
Blondine im Gepäck. 

So rollt im Maserati
vor mir mein Chef, Herr Wolf, 
dahinter ich mit Vati
in meinem alten Golf. 

– Rudolf Anton Fichtl –



 

Midlife-Krise früh um drei 


– Der Dichter kann schon wieder mal nicht schlafen. 
Nicht Virus oder zu viel Bier im Bauch
sind das Problem. Er steht auf keinem Schlauch. 
Er zählte schon Zehntausende von Schafen. 

Ihm geht auch kein Finanzamt auf die Eier. 
Die Dame schläft, und Flöhe hat er nicht. 
Die Arbeit morgen fällt kaum ins Gewicht, 
und die beschränkten Nachbarn – hol' der Geier. 

Ihn quält der Wunsch: Bizarr, verrückt, vermessen, 
Schimäre, die er in den Träumen fängt;
nur ein Gedicht, für sie, an die er denkt, 
obwohl er weiß: Sie hat ihn längst vergessen. 

– Dirk Tilsner 





Winter 



– Ein Flugzeug fliegt in Seitenlage 
Es hält die Position nur vage
An Bord befindet sich der König 
Der Rauschgiftgang von halb Venedig 

Es feiern Dealer, Hintermänner 
Auch der Pilot schnupft wie ein Kenner 
Fühlt sich beschwingt und vogelfrei 
Und greift am Steuerknauf vorbei 

Nun wird der Flug sehr unbequem 
Doch sich beschweren? Und bei wem? 
Und dann am Berg, die Havarie 
So viel an Schnee gab‘s da noch nie 


– Volker Teodorczyk –




 ashes to oceans 


– das Meer es wurde mir geschenkt 
mit allem was sich wellt und kront 
ich atme Salz und spüre mich 
in allem was dort lebt und wohnt 
und eines Tages werde ich 
mit allem was ich bin versenkt 

– Morphea –




Am Himmel



– Inmitten der vollen Ähren,

betupft von den leuchtenden

Sprenkeln des grellroten Mohns,

lagen wir mit dem Donnergrollen,

atmeten Heupferdchenträume

mit dem Wiegen der Halme.


Du wolltest fliegende Fische

zählen. Ich bloß immer wieder

deine Sommersprossen

und die versprengten Galaxien

im endlosen Blau deiner Iris.


«Eins!» riefst du und lachtest.

«Da – zwei!» Und ich versank

in den Spiralarmen deiner Locken.

Ich hätte dir gerne einen gefangen,

doch du hattest die Zeit angehalten.


Irgendwo in der Welt knatterten

Motorräder vorüber, holperten

über das alte Kopfsteinpflaster

der Höhenstraße, und der

auffrischende Wind trug mit dem Duft

von Marillenknödeln und Butterbröseln

das Glück in unser Universum.



– Claudia Neubacher –





Das Pendel


– Sie geht durch die Zimmer berührt ein paar Dinge
Vergräbt ihren Kopf in sein Hemd seine Sachen
Und eilt nur ein klein wenig fort hört sein Lachen
Sein Raunen sein Schweigen den Schlag einer Schwinge

Und ruft ihn zu halten und wieder und wieder
Versucht sie die uralte Uhr zu verbiegen
Ach lass uns noch einmal zum Auenwald fliegen
Das Pendel holt aus schlägt sie fort und darnieder

Sein Echo verhallt in den sonnigen Räumen
Verwirbelt ein wenig den Staub lässt ihn tanzen
Und legt ihn auf Seufzer auf Bilder und Kissen

Sie lässt es barmherzig geworden noch träumen
Verteilt die Erinnerung freundlich im Ganzen
Und hat doch das Morgen für immer zerrissen

– Andrea M. Fruehauf –