Winteres



 – Mein Mund schmeckt den Atem der Nacht, ihr Kadaver

zersetzt sich bereits, wird zu schwammigem Blau.

Das Funkeln der Sterne vergreist im Palaver

und fällt in den Rinnstein, zerschlissen und mau.

 

Ich mag kein verkrustendes Sehnen mehr, schleiche,

mein Herz in der Tasche, am Ufer entlang.

Die Wasser sind sprachlos, und Sturm trägt das bleiche

Gewölle der Zuversicht über den Hang.

 

Das Ding aber flattert, erbarmungslos brennend,

wie schwärendes Blut unter baumhohem Grind,

zerstörerisch krampft es mich niederzuzwingen.

 

Doch endlich ertrinkt es. Ein trotziges Kind,

das wütend zurückschlägt, sein Schicksal erkennend.

Vermag eine Nachtigall winters zu singen?



 – Andrea M. Fruehauf –



 

 


Winterlied



Denkst du noch an jenen Sommerabend

Als der erste Kuss daneben ging?

Hast du noch die Rosen in der Nase?

Siehst du noch, wie hoch der Himmel hing?

 

Wär ich damals in den Baum gestiegen ...

Hätt‘ ich ein paar Sterne umgedreht ...

Hättest du beim Knöpfen still gehalten …

Ach, die Zeit hat alles überweht ...

 

Kälte ist schon übers Dach gekommen.

Winterblumen spannen Silbernetze.

Hätt‘st du je das Ende so gedacht?

Sommerwünsche wurden über Nacht

Zwei im Schnee vergess‘ne Lieblingsplätze.



 – Peter Welk –





 


Christgeburt



 – Könige sind auf dem Wege

Mit Kamelen, zu dem Kind

Raus aus diesem Tiergehege

Wo sie sonst zu Hause sind

 

Schleppen Gold und edle Pflanzen

Denn Geschenke sind ja Pflicht

Ach, man könnt vor Freude tanzen!

Die Kamele jedoch nicht

 

Die Gesäße der drei Herren

Sind vom Reiten schmerzhaft wund

Dass sie singen und nicht plärren

Liegt wohl an der heilgen Stund‘

 

Endlich da, nach langer Reise

Und ein Stern hat sie gelenkt

Schlichter Stall in Altbauweise

Doch hier wird die Welt beschenkt!

 

Alle Gäste jubilieren

Denn die Menschenschuld erlischt

Schuhe aus und gratulieren

Josefs Frau hat durchgewischt

 

Und dann steh’n sie vor der Krippe

Von dem zarten Christuskind

Schafe, Esel, auch die Hippe

Ach, wie alle glücklich sind!

 

Ja, es wird die Welt erlösen

Sünden tilgen, als wär’s Pflicht

Auch von diesen denkbar Bösen

Ich bin ehrlich, ich würd’s nicht!

 


 – Volker Teodorczyk –





 Im diffusen Licht 

des Nachmittags



 – vorhin
beim Blick durchs Küchenfenster dachte ich
der Wind treibt eine helle Plastiktüte 
gemächlich durch die Schatten des Innenhofs 


(dann aber sah ich
es hing noch
in dunklen Kleidern
ein flatternder Mann aus dem Hinterhaus dran) 



 – Christian Fechtner –





 Die heiligen vier Könige



 – Drei Weise aus dem Morgenland,
sprich Osten, kamen angerannt,
durch Wüste, Trockenheit und Dürre,
sie brachten Weihrauch, Gold und Myrrhe.

 

Der Caspar und der Melchior

erreichten Bethlehem noch vor

dem Balthasar, der hatte Blasen

und konnte deshalb nicht so rasen.

 

Ein vierter wollt nicht huldigen

und ließ sich drum entschuldigen,

doch fehlte den drei Königen

der Wille zu beschönigen.

 

Sie beichteten im hellen Schein,

es fehle noch der Edelstein

von Phlegmar, denn so hieß der vierte

in Quellen nicht so oft zitierte.



 – Stefan Pölt –

 


Fortgegangen



Er mag nicht mehr, er mag die Nächte nicht,

des Totenvogels elendiges Wimmern,

dies Grinsen, dies verfluchte Mondgesicht

im Aug des Sees, sein bitterböses Schimmern.

 

Was will ich hier, er weint ein wenig, fegt

den unberührten Schnee mit bloßen Händen

vom Eis, die Scholle, die ihn schwankend trägt,

erbietet sich ein letztes Mal zu wenden.  

So halt doch ein! Er träumt von seinem Weib!

 

Der blinzelt, lacht, den spröden Bart voll Reif,

und formt den Mund zu winterblauem Staunen.

Ein Fischlein spricht zu ihm, ein Silberraunen

kriecht tröstend in sein Herz, in seinen Leib

und wiegt das Schilf, in dem die Dommel schreit.



 – Andrea M. Fruehauf –



 


Wiedersehen



 – Nach dreißig Jahren treffen wir uns wieder.

Ich staune, was aus dir geworden ist!

Du wirkst auf mich so saturiert und bieder;

Mir war erst gar nicht klar, dass du das bist!


Und du erzählst mir viel! Ich höre,

Du hast jetzt Kinder, Frau, ein großes Haus.

Bei einer Bank, da machtest du Karriere

Und lebst, sagst du, in Saus und Braus.


Vor dreißig Jahren warst du voller Ideale,

Voll Wagemut und voll Elan!

Jetzt scheinst du abgedriftet ins Banale.

Dass du nicht glücklich bist, sieht man dir an.


Es ist schon spät. Ich muss jetzt gehen.

Du schaust mich an mit einem Hundeblick

Und fragst, ob wir uns wiedersehen.

Als wir uns trennen, schau ich nicht zurück.



– Fritz Pfeiffer –