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Sturm


(Kindergedicht)


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– Fegt ein Sturmwind übers Haus,

bläst den Rauch vom Schornstein weg,

lässt die Fensterläden klappern,

sammelt sich im Straßendreck,


scheucht die Käfer aus den Ritzen,

wirbelt Mücken durch die Luft , 

kippt die müllgefüllte Tonne

wie ein Spielzeug um und ruft


Regen aus den Wolken runter,

Blitz und Donner übers Haus,

faule Äpfel und Tomaten

kullern aus der Tonne raus,


Büchsen scheppern, Tüten klatschen,

Hühnerknochen fliegen rum,

Tonne spuckt Kartoffelschalen,

steht im Wind, fällt wieder um,


rumpelt übers Straßenpflaster,

heulend hält der Wind sie fest,

leer die Tonne? Alte Hose 

knüllt sich noch um Würstchendose

unten in der Tonne drin,


holt der Wind sie aus der Tonne,

treibt mit Dose und der Hose

hoch hinaus und hin zur Sonne,

die jetzt über allem schaukelt

gelb wie eine Riesenrose.



 – Peter Welk –




 

Sommerschneeflocke


(Kindergedicht)

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Ein Mann geht über Pflastersteine.
Kopf hoch. Er schaut die Wolken an:
Es gehen unter ihm die Beine,
und obendrüber geht der Mann

und ärgert sich. – Am Himmel oben
ziehn Vögel eine lange Bahn,
huiiiii, hat der Wind sie fortgeschoben. –
Der Mann guckt jetzt die Straße an,

guckt runter auf die Pflastersteine,
grau sieht die Welt aus Steinen aus,
durchs Grau gehn seine Hosenbeine,
und da am Eck spitzt eine Maus,

so grau, so steinegrau die Welt …
doch da! Im Grau und kaum zu sehn,
wer hat denn das da hingestellt?
Die Beine bleiben plötzlich stehn,

der Mann, er lacht! Geht in die Hocke:
da wächst in einer Pflasterritze
winzig wie eine Sommerflocke
aus Schnee … er schiebt die Nasenspitze

näher heran: Ein Gänseblümchen,
winzig und schön, sagt nichts, steht stumm
im wiesengrünen Blattkostümchen
in all dem Steinegrau herum.

Da fällt der Mann der Länge lang
ins Pflastersteinebeet und weint,
weint, lacht, es quietscht am Eck die Maus,
das Grau ist fort, die Sonne scheint,
die Welt sieht jetzt ganz anders aus.


– Peter Welk –


 



Gesamtkunstwerklich



 – Ich bin ein wirklich schöner Hund! Und Sie?
Ich meine, Sie, als Mensch – wie schätzen Sie sich ein? 
Die Schönheit ist ein Ding an sich, und nie 

Kann wahre Schönheit einfach nur beschlossen sein 


Zum Beispiel in belüfteter Frisur,
Die Unsereinem herzlich gern der Mensch verpasst. 
In meiner ganzen Haltung schönt sich die Natur! 

Und die Belüftung sehe ich als leichte Last, 


Die Unsereiner trägt. Mit Gleichmut. Warum nicht? 

Ich bin als Hund gesamtkunstwerklich schön. 

Ich schmücke Alben und Kalender. Ein Gedicht 

Ward meiner Schönheit zugeeignet – nix von Flöhn, 


Wie man es sonst in Hundelyrik häufig findet, 

Hat mir der Dichter ehrabschneidend angehängt, 

Er sieht in mir den Hund, der Blicke bindet, 

Der sich in aufgeklappte Herzen windet 

Und Kenner zu Entzückensschreien drängt. 



 – Peter Welk – 



 


Erinnerung an Hanna Seiffert



Es war so eine Nacht mit Sommer, Mond und Wein, 

Ein Gartentisch – und zwei Verrückte sitzen da und bauen 

Das Universum um in eine Welt aus lauter Pusteblumen, 

Hanna, du lachst, ein quietschvergnügtes Schepperlachen 

Aus Tiefen hochgeholt, schiebst mir den Rotwein hin: 

Zum Wohl auf alle, die schon in den Betten liegen, 

Ich bin erst übermorgen müde! Auf das Leben! 


Und wie du plötzlich ernst sein konntest! Wie ein Kind, 

Das sich zum Denken Zeit nimmt und noch fragt,
Weil es das einfach Ausgedachte sucht und sagt
Es irgendwann und hat sich heimlich damit weggeträumt. 
Der Georg Kreisler hockte unterm Tisch, hat mitgeschwiemelt 

In jener auf den Kopf gestellten Nacht. Jetzt steht er oben 

Und hakt sich bei dir unter, wenn du kommst: 


Madame, Sie werden hier erwartet, kleine Runde, 

Der Shakespeare hat sich angesagt, der Morgenstern, 

Der Ringelnatz bringt Pellkartoffeln mit und Quark, 

Uns beide hat man als Gesangsduett verpflichtet, 

Wir singen von den längst vergangnen Fernen, 

Vom Zeitverschwenden hinter allen Sternen, 

Und dass es schön war unten auf der Erde. 



 – Peter Welk –






Gesang der Schafe



 – Denn wir Schafe sehen euch entgegen,

Sehn euch langsam auf uns zu bewegen,

Denken euch verjagt aus euern Herden,

Sehn euch, näher kommend, Schafe werden.


Unser Darwin sieht in seiner Denkerstube

Eure Art sogar im Umkehrschube,

Sieht euch Schafe werden und dann Hasen,

Sieht als Frösche euch beim Backenblasen,

Schließlich Würmer werden oder Quallen

Und am Ende euch zu Staub zerfallen.


Wir hingegen, wachend und im Schlafe,

Sehn euch, näher kommend, noch als Schafe,

Und als solche seid ihr uns willkommen

Und ins neue Dasein aufgenommen.


Hieß das alte Dasein Dauerkrise,

Liegt das Glück im neuen auf der Wiese,

Also lasst es uns beblöken und beträumen,

Und das alte lasst uns aus den Hirnen räumen. 



 – Peter Welk –


(Fotografie Marion Reckow-Memmert)



 


Herr Lila

Kindergedicht

– Herr Lila wohnt in einem kleinen Haus,
und manchmal abends geht er aus
und guckt die Bäume an,
die da im Dämmerdunkel stehn
am Weg, den Straßen und Alleen, 
dann stellt Herr Lila Fragen:

«He, Baum, kannst du mir sagen,
wann geht ein Baum, wie du, ins Bett?
Sind deine Träume violett,
die Farben deiner Träume
und die der andern Bäume?
Seht ihr am Tag die Straße grau?
Macht dann die Nacht die Straße blau?
Ist dann der Kirchturm in der Ferne lilagrün,
ein Haus ist gelb und Wolken ziehn
wie schwarze Schafe drüber weg,
die Welt ist jetzt ein großer Farbenfleck, 
der dunkel noch am Boden klebt,
sich bald aus allem Dunkel hebt,
dann schwebt die Welt 
und zieht die Bäume mit sich fort,
dorthin, wo all die Farbentöpfe stehn, 
zu einem Ort,
wo Pinsel liegen,
Farben fliegen,
wo goldne Kutschen über rote Dächer gleiten
wo Kinder mit den Omas 
auf den Silbervögeln reiten …?»

«Halt!», ruft der Baum, «zu Ihren Fragen,
Herr Lila, kann ich heute gar nichts sagen,
wir Bäume gucken in die Welt hinein
bei Regen, Hagel, Schnee und Sonnenschein,
wir stehen drin herum in dieser Welt
und wachsen, weils uns so gefällt.»

«Und Farben seht ihr nicht? 
Und habt auch keine Träume?»

«Wir stehn und wachsen. 
So gehört es sich für Bäume.»

«Ach ja?» – war alles, was Herr Lila darauf sagte.
Und der am nächsten Abend dann 
die Blumen fragte.


– Peter Welk –


 

Herr Nachtigall 


(Kindergedicht)


 – Du, Hanna, gestern bin ich übers Haus geflogen,
ja, gestern Nacht. Ich lag im Bett und war noch wach,
die Decke hatt‘ ich bis zur Nase hochgezogen,
als plötzlich eine Stimme leise zu mir sprach:

«He, du, ich bin Herr Nachtigall, schlaf ein, schlaf ein,
ich komm auf Traumbesuch, ich hol dich ab zum Fliegen!»
Ich sagte: «Fliegen? Kann ich nicht.» – «Nein», sagt die Stimme, «nein,
schlaf ein, dann kannst du‘s, wirst auf dunklen Wolken liegen 
und mit mir fliegen! 
Pfeif ich dir ein Lied, und jeder Ton
hebt dich ein Stück nach oben! 

Hörst du‘s? 
Fliegst du schon?»


– Peter Welk –


 


 Hinterherruf zum 85.



– Vielleicht zählt Unsereins zum alten Eisen,

Vielleicht soll morgen schon Verschrottung sein,

Vielleicht schlägt Unsereins die letzten Schneisen

Und drängt sich einmal noch ins Leben rein.


Ich war zum letzten Mal vor tausend Jahren

Verliebt in eine längst vergessne Frau,

Ich weiß nicht mehr, ob wir im Himmel waren,

Wir wollten hin, das weiß ich noch genau.


Ich bin kein Mann von Welt und von Erfahrung,

Ich geh tagaus tagein im gleichen Hemd,

Und alle Wunder einstiger Behaarung

Hat mir die Zeit für immer weggekämmt.


Ich denke gern an jene Glücksmomente,

Da ich noch sagen konnte: Fünfzig – und?

Es geht dein Geist noch lange nicht in Rente,

Du brauchst noch lange keinen Ausgehhund!


Jetzt, da die Siebzig angefangen haben,

Nehm ich den Hund als gottgegeben an

Und lass mich gerne mit dem Hund begraben,

Wenn ich mich einmal noch verlieben kann.



 – Peter Welk –



 




Specktraumauswärts



– Als Kater hat man manchmal seine Sorgen,

Dann hat man irgendwo sich hingelegt,

Dann denkt man an ein buntgemaltes Morgen

Und möchte sich als Kreatur verborgen

An Katzen, welche Ähnliches bewegt.


Als Kater träumt man dann die schönsten Flausen

Und sieht die ganze Welt aus Speck gemacht,

Und specktraumauswärts hört man Winde brausen

Und Hunde windgejagt durch Straßen sausen

Und wegen Katermobbing vor Gericht gebracht.


Als Kater ist man manchmal Mensch, jawoll!

Mit allem Drum und Dran und Katzenjammer,

Dann hat man ganz die Katerschnauze voll,

Dann geht die Stimmung mächtig gegen Moll,

Dann sucht man einen Liegestuhl und legt sich

Hin. Träumt. Und nichts vom Kater mehr bewegt sich.



– Peter Welk –



 


Roxane


Song aus – Weit übers Meer und dann links 
Swing-Spiel für einen Schauspieler und einen Pianisten

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Roxane, meine Schöne, du, ich konnte
Nicht länger warten,
Du, ich flieg schon mal voraus,
Gestern Abend warst du alles,
Warst die Sehnsucht, warst die Zeit …
 
Hinter allen Zeiten warst du,
Und beim Wolkenschieben warst du
Aller Unsinn, alle Schönheit,
Du, ich fliege eine Acht …
 
Unter mir schwimmt eine Insel,
Flieg ich weiter, flieg ich tiefer?
Alle Farben seh ich unten,
Farben, die ich noch nicht kenne …

 Ach, Roxane, meine Schöne,
Seh ich dich da unten wedeln
Mit den Händen, meine Schöne?
Du, ich fliege erst mal weiter,
Immer weiter, immer weiter ….

Irgendwo lass ich mich tief und tiefer fallen,
Und dann lieg ich zwischen Muschelkalk und Quallen …

Irgendwo malt mir die Sonne einen Fleck
In den Sand, dort bleib ich, oder ich lauf weg …
 
Irgendwo bin ich vielleicht nach links gebogen,
Oder hab mich an Lianen hochgezogen …

Irgendwo erwartet mich ein Inselstück,
Und dort sitz ich dann eventuell im Glück …


– Peter Welk –