Frühling, noch ein Lied



– Als Gott, der laue Winde nordwärts trägt, 

Ist er am Morgen übers Land gekommen. 

Der Spross, der sich seitdem im Innern regt, 

Hat seinen Ruf, noch halb betäubt, vernommen. 


Schon wird er ungeduldig, keimt und drängt, 

Meint ICH sei’s, der ihn in den Kerker sperrte. 

Er ahnt, das Weiß, das in den Bäumen hängt, 

Ist nur der Auftakt roter Festkonzerte. 


Ich halte ihn ... umsonst, er bricht hervor 

Und bleibt sogleich an allen Düften kleben. 

Er schaut mich an und lacht, weil ich ihm schwor, 

Es könne nie mehr einen Frühling geben. 



 – Dirk Tilsner –





Kindergebet bei Regenwetter



 – Es regnet lang, und kleine Lippen beten: 

Ach, lieber Gott, mir ist ja, ach, so schlecht, 

Die Mami hat den Papi heut getreten, 

Schon wieder alles wegen der Moneten, 

Denn weil es regnet, ist ihr gar nix recht. 


Ich hab die Mami extra noch gezogen 

Und hab gesagt, ich müsste mal ganz schnell, 

Das war vielleicht ‘n bisschen sehr gelogen, 

Ich lüg sonst nicht, ich bin auch hingeflogen, 

Und in mir selber wars auf einmal hell. 


Ich hab geweint. Der Papi hats gesehen, 

Und trotzdem ging er dann zu seinem Freund, 

Ich kann das, wenn ich groß bin, auch verstehen, 

Weil, wer so groß ist, muss halt manchmal gehen, 

Und seine Frau sagt dann: Der Alte streunt. 


Dann hat die Mami mein Kakao getrunken 

Und hat gesagt: «Ihr seid mir alle schnurz.» 

Ich hab dem Papi heimlich nachgewunken: 

«Tschüss, Papi!» Und dann bin ich abgestunken, 

Das stimmt, von wegen einem kleinen Furz. 


Ach, lieber Gott, wir sind ja nette Leute, 

Nur wenn es regnet, ist der Wurm im Holz, 

Und darum, bitte, gilt der Tag nicht heute, 

Wir sind bei uns die allerfeinsten Leute, 

Und, gell, du bist auf unsereinen stolz? 


pe-es: Der Papi geht bestimmt zu solchen Damen, 

Mach, dass sie viel zu teuer sind, die Damen, amen. 



– Peter Welk –



 


voll bio logisch



 – Nachdem du die «Vergissmeinnicht»

die ich nur für dich in Nachbars Garten klaute 

rücksichtslos im Müll entsorgt hast


versuche ich ungeduldig

eine Arschlochpflanze zu züchten

die deinen Namen tragen wird.



– Morphea –



 


Anders 



– Es hilft kein Leugnen und kein Lügen. 

Ich muss mich der Bestimmung fügen. 

Ja, ich mag Blut und selten Bier. 

Ich bin ein einsamer Vampir. 


Bei Kurzen sag ich selten nein. 

Einsfünfzig sollten sie schon sein. 

Erobere auch Bluter gerne.
Nach Longdrinks seh ich Mond und Sterne. 


Und auch mein Sohn ist gut geraten. 

Er übt schon mal an Fleischtomaten. 

Und wirft sich dann in Beißerpose 

Beim Lochen der Kondensmilchdose. 



– Volker Teodorczyk –



 


Die Eloquenz der Augenbrauen 



– Die Lockerheit von Stahlbeton 

Wird angeregt durch Explosion, 

Durch Beben oder Kriegsbestand – 

Ansonsten bleibt er steif-verspannt. 


Dem Zartgefühl der Kettensäge 

Steht meistens irgendwas im Wege, 

Zur vollen Blüte kommt es nur 

Beim Fräsen einer Eisfigur. 


Die Poesie der Kläranlage 

Entzieht sich jeder Gegenfrage, 

So bleibt auch weiterhin der Wert 

Der Lyrik völlig ungeklärt. 


Versagensangst der Pädagogik 

Besiegt man nicht mit reiner Logik, 

Vielmehr mit Können und Niveau. 

Warum? Das ist halt einfach so! 


Die Eloquenz der Augenbrauen, 

Um noch den Titel einzubauen, 

Hat spätestens ihr Coming-Out, 

Sobald sich was zusammenbraut. 



– Stefan Pölt –



 


Splitter



– früh am Morgen 
schmuggelte der Schienenbus
das Tuten seines Signalhorns
in den Kinderschlaf:
genug für ein paar selige
Sekunden des Auftauchens
zwischen Traum und Traum


– Christian Fechtner –



 


Diagnose: Möbelpoliturpsychose 



– Nichts stimmt im Leben mich so froh 

Wie honiggelbe Möbelpo- 

litur. 


Sie rettet meinen Tageslauf:
Ich schau beim Putzen kaum noch auf 
die Uhr. 


Mit ihr pfleg ich den Dielenschrank, 

Sowie die morsche Eichenbank 

im Flur. 


Desgleichen meinen ganzen Stolz, 

Die filigrane Ebenholz- 

figur. 


Und nebenbei verschönert sie 

In puncto Glanz und Fülle die 

Frisur. 


Doch ist mir um das Herz so bang, 

Ich muss ab Montag wochenlang 

zur Kur. 


Was mach ich bloß auf dieser Kur 

Ganz ohne Möbelpolitur 

denn nur? 



– Rudolf Anton Fichtl –