Neujahrsmorgen


 – Noch sitzt der Nebel im Genick,
noch trübt er nass den scheuen Blick,
verhüllt, was unschön und auch fein.
Ich könnte einfach glücklich sein.

Ein Reiher schreitet durch den Bach,
er sucht bedächtig, äugt gemach
nach Nahrung und nach Unterschlupf.
Ich esse meinen Gugelhupf.

So leise atmet dieser Morgen,
hält Glück und Unglück noch verborgen,
versteckt die Freuden und die Leiden.
Ich ahn’ das Schattenbild von beiden.

– tulpenrot –




Fragewolken 



 – Das Jahr klingt aus und wird Vergangenheit
und war doch eben noch zum Greifen nah,
man hat Probleme und verläuft sich in der Zeit
und steht am Ende ganz verwundert da

und fragt sich heimlich, während Frösche krachen
und lila Blitze um die Dächer schweifen:
Werd‘ ich im neuen Jahr die alten Fehler machen,
werd‘ ich vielleicht zu neuer Größe reifen?

Werd‘ ich in neue Höhen klettern dürfen,
wird mich ein Teufel in die Tiefe schmeißen,
werd‘ ich in Höllenschluchten schürfen,
wird mir ein Glücksschwein in den Hintern beißen?

Und so, indem man Fragewolken schiebt,
schiebt man Probleme, die’s noch gar nicht gibt,
ins neue Jahr und vor sich her und durch die Zeit,
hinsteuernd Richtung Ewigkeit.


– Peter Welk –





Weitsicht 



 – Als ich gestern in die Ferne sah,
schien mir diese plötzlich seltsam nah.
Näher noch – ich weiß, das klingt jetzt dumm –
als der leere Raum um mich herum.

Dieser Raum, gefüllt mit lauer Luft,
die mir dauernd in die Seele pufft;
diese schnöde Enge ganz aus Nichts,
die Garotte meines Gleichgewichts.

Dieses ungreifbare Nichts-Substrat,
licht- und schattenarme Wechselbad;
dieses körperlose Hindernis,
steter Zwang, im Ausgang – ungewiss.

Als mir, wie schon oben angeführt,
diese Ferne jäh im Innern rührt,
fand ich darin einen tiefen Sinn:
Manchmal will der Mensch woanders hin. 


– Dirk Tilsner –





Hoch oben


 – In blauer Nacht hängt
ETWAS
und scheint mir auf die Knie –
wenn ich jetzt Mondin sagte
dann wär das eine SIE

Doch es wirkt fett und käsig
drum fällt mir so was schwer
ich werd nun ziemlich bräsig
und sag
das sei ein ER

Ein ER darf nämlich rund sein
doch SIE nur gertenschlank
bei IHM heißt dick gesund sein
bei IHR hingegen krank

Die Wahl zwischen den beiden
bereitet zu viel Stress –
um solchen zu vermeiden
nenn ich das Etwas:

ES

Ein ES scheint mir was freies
von jeglichem Geschlecht –
grad kams mir vor als sei es
dem Ding da oben recht

– niemand –




abreise



– einfach weg
sagt er sich

den koffer gepackt
alles, alles rein, nichts bleibt hier
außer diesem scheißleben

auf seinem weg
begegnen ihm
gesichter

deren mimik fragt ihn
meinst du
uns geht es anders?

sein schritt wird schneller
mit dem blick zur uhr

am bahnsteig
steht schon der zug
weg hier, jetzt oder nie

sagt die anzeigetafel
und ein pfiff gellt
höchste zeit

dann fährt er
der zug
ohne ihn ab


– Jörg Schaffelhofer –




Morgenprotokoll



 – azurblau
der Himmel
durchs Fenster

rasurrot
das Gesicht
im Spiegel

fast farblos
die Gedanken
vorm Aufbruch 

– Christian Fechtner –





Schneck und Schnecke 

(Kindergedicht)


 – Unter einer Brombeerhecke

wohnt der Schneck mit seiner Schnecke,

wohnen nicht im gleichen Haus,

gucken aus zwei Häusern raus,


kriechen in die Morgenluft,

angelockt vom Brombeerduft,

da der Schneck, so schnell er kann,

Schnecke dort, bleibt an ihm dran,


kriechen beide schneckenschnell,

Sonne macht die Hecke hell.

Tag vergeht. Dann kommt die Nacht,

ganz aus Brombeerduft gemacht,


Duft kommt näher in der Hecke,

Schnecke schafft die Kletterstrecke

vor dem Schneck, klebt zwischen Blättern,

Schneck hat noch‘n Stück zu klettern.


– Peter Welk –